3 Seiten zu "Gesundheit und Pflege" im Grundsatzprogramm der Grünen

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  • Letzter Beitrag 28 Juni 2020
Dr. Günter Gerhardt schrieb 28 Juni 2020

Wer im Grundsatzprogramm der GRÜNEN etwas Substanzielles zu Vertragsärzten sucht, liegt falsch: Denen zeigt die Partei die kalte Schulter.

Dr. Günter Gerhardt schrieb 28 Juni 2020

Entwurf zum Grundsatzprogramm

Grüne zeigen Vertragsärzten die kalte Schulter

Von Jost Küpper

Jetzt liegt er vor: Der Entwurf zum Grundsatzprogramm der Grünen. Darin gibt’s drei Seiten zu „Gesundheit und Pflege“. Dort wird eine Bürgerversicherung gefordert, private Kliniken attackiert und der Patientenschutz betont. Wer Substanzielles zu Vertragsärzten sucht, liegt falsch: Denen zeigt die Partei die kalte Schulter.

Die Grünen (hier die Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck) haben nun die erste Version ihres Grundsatzprogramms vorgelegt.

Worum es formal geht, ist klar: Im Herbst 2020 soll bei einer Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Karlsruhe das noch aktuelle Grundsatzprogramm von 2002 durch ein neues ersetzt werden. Dafür gibt es jetzt einen 58-seitigen Entwurf mit folgendem Titel „ …zu achten und zu schützen… . Veränderung schafft Halt.“ Wer das nicht versteht, wird im Text auch nicht schlauer.

Covid 19 als Ausgangspunkt 

Zunächst wird im Vorwort (S. 6 – 7) die derzeitige Covid 19-Situation als Ausgangpunkt genommen: „Wir legen diesen Text vor in einer Zeit, in der die Welt durch die Corona-Pandemie in ungeahnter Weise erschüttert wurde.“ Allerdings: „Wir sind (…) entschlossen, das Jahr 2020 nicht als Krisenjahr zu sehen, sondern als Kraftzentrum für neue Perspektiven.“ Wobei die kommenden grundsätzlichen Leitlinien für die nächsten Jahre „als Einladung für neue Bündnisse zu verstehen (sind), die wir für die vor uns stehenden Veränderungen brauchen.“

Allerdings haben zentrale Vorschläge im Bereich „Gesundheit und Pflege“ (S. 33 – 35) mittlerweile ganz schön Patina angesetzt. Zwei Beispiele im O-Ton: die Bürgerversicherung oder Vorrang für kooperative Medizin:

■ Bürgerversicherung: „Solidarisch finanziert können die Herausforderungen der älter werdenden Gesellschaft und die Kosten des medizinischen Fortschritts am besten bewältigt werden. Indem alle Bevölkerungsgruppen in die Finanzierung über eine Bürgerversicherung einbezogen werden, können wir die Belastungen fair und für alle tragfähig ausgestalten. Gesundheit und Pflege muss allen Menschen gleich zur Verfügung stehen.  Es darf keinen Unterschied beim Zugang nach Einkommen oder Versicherungsstatus geben.“

■ Kooperative Medizin:  Wichtig ist demnach, „dass stationäre und ambulante Versorgung zusammen gedacht und finanziert werden.

Eine bessere Vernetzung, Koordination und Zusammenarbeit über alle Berufsgruppen hinweg, wie sie zum Beispiel in Gesundheitszentren stattfindet, ist notwendig, um den Bedarfen der Patient*innen in einer älter werdenden Gesellschaft besser gerecht zu werden.  Eine gut abgestimmte integrierte Versorgung, in der Ärzt*innen, Pflegekräfte und andere Heilberufe sowie ein gut ausgestatteter öffentlicher Gesundheitsdienst Hand in Hand zusammenarbeiten, muss darum zur Regel werden.“

Der Markt: „teuer und ineffizient

An anderer Stelle wird gleichzeitig deutlich, mit welchen Scheuklappen die Grünen an strukturelle Probleme im Gesundheitsbereich herangehen wollen. Zitat: „Gesundheitsversorgung ist öffentliche Aufgabe. Sie muss dem Menschen und der Allgemeinheit zugutekommen und dient nicht dem Zweck, hohe Renditen zu erzielen. Öffentliches und beitragsfinanziertes Geld muss im System bleiben. Der Trend zur Privatisierung im Krankenhausbereich muss gestoppt werden. Bei privaten Kliniken und Pflegeheimen sollen Gewinnausschüttungen gesetzlich beschränkt werden.  Gesundheitssysteme, die sich auf den Markt verlassen, sind teuer und ineffizient.“

Zentrale Info in diesem Zusammenhang ist, dass die jahrzehntelange Privatisierungswelle im Krankenhausbereich hauptsächlich dadurch zustande kam, dass öffentliche Hände viele Kliniken mit öffentlichem Mitteln und beitragsfinanzierten Geld finanziell vor die Wand fuhren. So sind Privatanbieter wie Asklepios, Helios oder Rhön zu Spottpreisen groß geworden. Wer private Klinikgewinne nachträglich budgetieren will, muss sich mit Artikel 14 Grundgesetz (Eigentumsgarantie) und der Frage des Ausgleichs von Enteignungen beschäftigen. Das dürfte bei diesem Vorlauf ist ein Ritt auf der finanziellen Rasierklinge sein.

Wer hat andererseits der Partei eigentlich vermittelt, dass im deutschen Gesundheitssystem der Markt regiert? Insofern sei auf die hochbürokratischen DRG im stationären Bereich hingewiesen und auf die GOÄ (staatliche Gebührenordnung) für Privatpatienten im stationären und ambulanten Bereich. Daneben steht der körperschaftlich geregelte EBM und das jede denkbare Variante regelnde Sozialgesetzbuch V (SGB V) im Bereich der ambulanten GKV-Medizin. Das sind durch die Bank keine marktkonformen Instrumente.

Corona: Kein Chaos in Krankenhäusern

Gehen die Grünen im Entwurf zum Grundsatzprogramm darauf ein? Bei den Klinika vielleicht („Die Krankenhausfinanzierung muss neu gedacht (…) werden“), im Vertragsarztbereich herrscht eine eigenartige Funkstille. Und das im Angesicht der Corona-Krise in Deutschland, von der auch viele ausländische Beobachter sagen, das Land sei bis jetzt medizinisch bestens davon gekommen. Die Erfolgsformel auch bei Corona: tendenziell 90 Prozent der Probleme werden ambulant, 10 Prozent stationär erledigt. Deshalb brach in deutschen Krankenhäusern wegen schwerkranken Covid 19-Patienten kein Chaos aus. Der ambulante Filter funktionierte.

Dass den wichtigsten Filter-Akteuren (Vertragsärztin/Vertragsarzt) im Grundsatzprogramm der Grünen jetzt die kalte Schulter gezeigt werden soll, ist auch insofern unverständlich, weil man sonst sehr detailliert auf gesundheitspolitische Parameter eingeht. Eine Auswahl:

● Digitalisierung (S. 26): „Sie hat Potenziale, das Gesundheitswesen massiv zu entlasten“. Aber: „Ethisch-normative Prinzipien dürfen nur von Menschen aufgestellt werden Automatisierte Entscheidungen müssen von natürlichen oder juristischen Personen verantwortet werden. Entscheidungen über Leben und Tod dürfen nur von Menschen getroffen werden, nicht von Maschinen und Algorithmen.“

● Versorgungssicherheit (S. 33): „Es braucht weltweit eine Versorgungsicherheit mit zentralen Arzneimitteln und Materialien. Sie müssen auch in Europa produziert werden.“

● Klinikstruktur (S. 33): „Nicht alle Kliniken (müssen) dieselbe Leistung anbieten.  Durch ein Stufenmodell von der Basisversorgung bis hin zu Spezialkliniken kann die Versorgung im ländlichen Raum gestärkt und zeitgleich eine gute Qualität bei allen Behandlungen sichergestellt werden.“

● Patientenschutz (S. 34): „Menschen sind immer Menschen, niemals „Fälle“, egal ob gesund, krank, pflegebedürftig oder eingeschränkt. Patient*innen sind Akteur*innen mit starken Rechten. Für Patient*innen müssen ihre eigenen Gesundheitsdaten jederzeit zugänglich sein und durch strenge Datenschutzstandards gesichert werden.“

● Aufgeweichter Patentschutz (S. 35): „ Leistungen, die medizinisch notwendig sind und deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden. Medikamente, die der Gesellschaft insgesamt dienen, dürfen nicht patentiert sein.“

 

28.06.2020, Autor: jok

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