Covid 19 Leitfaden für Praxen

  • 203 Aufrufe
  • Letzter Beitrag 17 April 2020
Dr. Günter Gerhardt schrieb 17 April 2020

Fachgesellschaften haben einen Letfaden und Handlungsempfehlungen für niedergelassene Ärzte erstellt.

Dr. Günter Gerhardt schrieb 17 April 2020

Covid-19

Leitfaden und Handlungsempfehlungen für niedergelassene Ärzte

Mehrere medizinische Fachgesellschaften haben aufgrund der Covid-19-Pandemie für ambulant tätige Ärzte und Ärztinnen einen Leitfaden erstellt, der ihnen bei der Versorgung der infizierten Patienten helfen soll. Er solle in der erforderlichen qualifizierten Gesprächsführung sowie in der korrespondierenden, krisentauglichen Dokumentation unterstützen, so die Autoren.

Fachgesellschaften haben Leitlinien für ambulant tätige Ärzte entwickelt, um ihnen den Umgang mit dem Coronavirus zu erleichtern.
© Crocothery, Adobe Stock

Im Kern geht es darum, das Therapieziel zu klären, die Prognose einzuschätzen und den Patienten-Willen zu ermitteln. Fragen, die dabei zu klären sind, lauten unter anderen, ob eine Einweisung ins Krankenhaus medizinisch sinnvoll oder zumindest vertretbar erscheint und ob die betroffene Person ungeachtet der begleitenden Risiken und Belastungen mit einer maximalen Intensivtherapie (mutmaßlich) einverstanden ist. Eine Priorisierung (Triage) wegen der Knappheit intensivmedizinischer Ressourcen sollte im ambulanten Bereich vermieden werden.

Die ambulante Entscheidungsfindung habe den Autoren des Leitfadens zufolge - unabhängig von der Pandemie - eine besondere Bedeutung auch aufgrund eines seit Jahren bekannten, aber noch immer nicht zufriedenstellend gelösten Missstandes: „Wenn medizinische Notfälle eintreten, besteht häufig ein großer Handlungsdruck, der notfallmedizinisches Handeln mit dem Ziel der Lebenserhaltung gemäß den allerorts etablierten Standards wie automatisch ablaufen lässt, ohne dass der Wille der betroffenen Person bekannt ist.“ Diese selbst sei dann häufig nicht einwilligungsfähig, das Thema nie besprochen worden, eine im Notfall belastbare Vorausplanung existiere nicht, und Angehörige bzw. gesetzliche Vertreter fühlten sich dementsprechend hilflos. Patientenverfügungen, so wie sie hierzulande bisher verstanden und praktiziert würden, erwiesen sich in solchen Notfällen regelmäßig als ebenfalls nicht hilfreich.

Therapieziele und Prognose

Beim Therapieziel ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen dem Ziel der Lebenserhaltung und dem der Leidenslinderung. Eine medizinische Maßnahme sei nur dann indiziert oder zumindest vertretbar, wenn „eine (zumindest minimale) Aussicht auf Erfolg“ bestehe, betonen die Autoren. Sei jedoch schon im Voraus zuverlässig erkennbar, dass das vom Patienten angestrebte Therapieziel durch eine Behandlungsmaßnahme nicht erreicht werden könne, so sei diese Maßnahme medizinisch nicht indiziert und dürfe dem Patienten nicht angeboten werden.

Zur prognostischen Einschätzung empfehlen die Autoren den im stationären Bereich bewährten, auf wenigen, leicht erhebbaren klinischen Parametern aufgebauten qSOFA-Score (quick Sequential Organ Failure-Assessment). Er könne auch im ambulanten Bereich als Entscheidungshilfe für die Frage dienen, ob ein schwerer Verlauf durch ein zunehmendes Organversagen eintrete damit das Sterblichkeitsrisiko erhöht und eine Krankenhauseinweisung daher medizinisch indiziert sei.

Der Score basiert auf folgenden Parametern: Verwirrtheit oder Bewusstseinstrübung, Atemfrequenz mindestens 22/min und systolischer Blutdruck unter 100 mmHg.

Für jeden erfüllten Parameter gibt es einen Punkt. Bei zwei Punkten ist das Sterberisiko dreifach höher als bei 0 oder 1 Punkt, bei drei Punkten ist es sogar 14-fach erhöht. Zudem empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie - speziell im Kontext von COVID-19-Erkrankungen - vor dem Hintergrund der bisherigen Erkenntnisse, auch die periphere Sauerstoffsättigung als vierten Parameter zu berücksichtigen. Als prognostisch relevant gilt dabei ein akuter Abfall der Sauerstoffsättigung auf < 92% (bei Lungengesunden und Raumluft) bzw. auf <90% (bei pulmonaler Komorbidität und Raumluft).

Eine Krankenhauseinweisung bei ambulant erworbener Pneumonie bzw. Sepsisverdacht sollte ab einem qSOFA-Score von 1 oder (jedenfalls bei COVID-erkrankten Patienten) bei einem Abfall der peripheren Sauerstoffsättigung erwogen werden. Seien drei dieser vier Parameter (qSOFA plus sO2) positiv, sei intensivmedizinischer Behandlungsbedarf wahrscheinlich.

Prognose infaust

Intensivmedizinische Maßnahmen gelten wegen fehlender Erfolgsaussicht in der Regel dann nicht mehr als medizinisch indiziert, wenn eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:

• Führende Erkrankung mit hoher Letalität (z.B. schwerste Ausprägung einer respiratorischen Insuffizienz, Polytrauma)

• Schwerste Begleiterkrankungen

• Schwerst progrediente neurodegenerative Erkrankung

• COPD im Stadium IV

• Herzinsuffizienz im Stadium IV nach der NYHAI

• Weit fortgeschrittene, unheilbare Krebserkrankung

 

Prognose eingeschränkt

Die folgenden Kriterien sind den Autoren zufolge in der Regel mit einer geringen Erfolgsaussicht intensivmedizinischer Maßnahmen im Sinne eines Überlebens der Intensivtherapie verbunden:

• Hoher Schweregrad der aktuell führenden Erkrankung (z.B. der respiratorischen Insuffizienz)

• Chronisches Organversagen, etwa fortgeschrittene Herzinsuffizienz NYHA III-IV, dialysepflichtige Niereninsuffizienz

• Fortgeschrittene Lungenerkrankungen, z.B. weit fortgeschrittene COPD

• Fortgeschrittenes Leberversagen

• Weit fortgeschrittene Krebserkrankung

• Schwere und irreversible Immunschwäche

• Gebrechlichkeit

• Ggf. spezifische prognostische Marker für COVID-19-Patienten (sobald verfügbar und entsprechend validiert)

Bestehe eine Indikation für bestimmte Maßnahmen mit dem Ziel der Lebenserhaltung, müsse nach entsprechender Aufklärung eruiert werden, ob diese Maßnahmen vom Patienten auch gewollt seien. Die gegebenenfalls vorzunehmende Therapieanpassung sollte möglichst frühzeitig mit dem Patienten, dem rechtlichen Vertreter und den Angehörigen – soweit möglich – besprochen, festgelegt und aussagekräftig dokumentiert werden. Bestehende Patientenverfügungen sollten in diesem Zusammenhang überprüft werden, ob sie auf die aktuelle Situation zutreffen und ob die gemachten Festlegungen dem aktuellen Willen entsprechen.

Mögliche Entscheidungen über die Nicht-Aufnahme eines Patienten auf die Intensivstation aufgrund von Ressourcenknappheit sollten nicht im ambulanten Bereich, sondern durch das jeweilige Einweisungs-Krankenhaus erfolgen. Eine pauschale Nichteinweisung Hochbetagter ab einem bestimmten Lebensalter aus Knappheitsgründen erscheine weder medizinisch noch ethisch begründet, betonen die Autoren des Leitfadens außerdem.

Empfehlungen zum Vorgehen bei Verdacht und gesicherter Infektion

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin hat für Hausärzte vor wenigen Wochen bereits Empfehlungen zum Vorgehen bei Verdacht und gesicherter Infektion mit dem neuen Corona-Virus veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: Eine hohe Priorität hat - außer dem Selbstschutz - der Schutz der Mitarbeiter und anderer Patienten.

Ein begründeter Verdachtsfall auf eine Infektion mit dem neuen Virus bestehe

• bei unspezifischen Allgemeinsymptomen oder akuten respiratorischen Symptomen jeder Schwere und einer Reiseanamnese in ein/aus einem COVID-19-Risikogebiet oder

• bei unspezifischen Allgemeinsymptomen oder akuten respiratorischen Symptomen jeder Schwere und Kontakt zu einer Person mit bestätigter COVID-19.

Außer den „begründeten Verdachtsfällen“ gibt es laut DEGAM auch Patienten, bei denen die Abklärung einer SARS-CoV-2-Infektion differentialdiagnostisch sinnvoll sein kann, zum Beispiel bei akuten respiratorischen Symptomen und Aufenthalt in Regionen mit vielen Covid-19-Fällen, bei schwerer Erkrankten, die ambulant betreut werden können und bei immunsupprimierten Patienten. Patienten mit akuten respiratorischen Infekten und besorgte Menschen sollten aufgerufen werden, zu Hause zu bleiben und möglichst nicht in die Praxis zu kommen.

Schutz und Sicherheit anderer Patienten und der Praxismitarbeiter/innen haben höchste Priorität. Daher: keine Testung auf SARS-CoV-2 ohne Schutzausrüstung, in diesem Fall Schild vor der Praxis: „Praxis führt keine Testungen durch.“

Ein Score soll dabei helfen, einen Patienten richtig zu behandeln.
© Terry J Alcorn, iStock

Empfehlungen zur häuslichen Isolierung von COVID-19-Patienten

Die DEGAM hat außerdem Handlungsempfehlungen zur häuslichen Isolierung von COVID-19-Patienten mit leichtem Krankheitsbild oder Verdacht auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 erstellt. Hier eine Auswahl:

• So sollten Patienten in gut durchlüfteten Einzelzimmern untergebracht werden.

• Gemeinschaftlich genutzte Räume sollten die Patienten nicht betreten.

• Es sollte keine weitere Person im Zimmer eines Patienten schlafen.

• Am besten sollte nur eine einzige Kontaktperson die Pflege übernehmen. Diese Person sollte in einem guten Gesundheitszustand sein.

• Solange Krankheitssymptome und/oder Ansteckungsgefahr bestehen, sollte der Patient keine Besucher empfangen.

• Falls erhältlich sollten Händedesinfektionsmittel mit viruzider Wirkung gut erreichbar am Ausgang des Patientenzimmers aufgestellt werden.

• Nach jeder Art von Kontakt mit dem Patienten oder seiner unmittelbaren Umgebung sowie beim Verlassen des Patientenzimmers sollten die Hände desinfiziert werden (Alternativ: Hände waschen.

• Alle Haushaltsmitglieder sollten besonders sorgfältig auf Hygiene achten: Händewaschen nach jeder Verunreinigung, vor und nach der Essenzubereitung, nach Mahlzeiten, nach Toilettengang. Beim Einkaufen und anderen Erledigungen Handschuhe tragen und Türen/Türklinken möglichst mit dem Ellbogen öffnen. Baumwollhandschuhe täglich waschen/wechseln.

• Nach dem Händewaschen sollten die Hände möglichst mit Papier- oder Einmalhandtüchern abgetrocknet werden.

• Patienten sollten möglichst dauerhaft eine Atemschutzmaske tragen, die Mund und Nase abdeckt.

• Im Patientenzimmer sollten Pflegepersonen eine Atemschutzmaske tragen, zusätzlich Einmal-Handschuhe.

Erstellte wurde der aktuelle Leitfaden von der

• Deutschen interprofessionellen Vereinigung – Behandlung im Voraus Planen (DiV-BVP) der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)

• Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP)

• Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)

• Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und

• Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)

 

15.04.2020 11:49:49, Autor: Dr. Thomas Kron

 

Close