Notfallversorgung

„Die Flatrate-Mentalität nicht noch weiter befeuern“

Seit Jahren steigen in den Notaufnahmen die Patientenzahlen. Im größten Krankenhaus Bremens, dem Klinikum Bremen Mitte, kamen 2017 mehr als 35.000 Menschen in die Notaufnahme (2012:22.000). Längst nicht alle sind wirklich Notfälle. Auch die Rettungsdienste haben damit zu kämpfen: Mit 77.800 Rettungseinsätzen verzeichnete die Leitstelle 2017 einen Rekord. Grüne und SPD in der Hansestadt haben nun den Senat aufgefordert, eine grundlegende Reform der ambulanten Notfallversorgung auf Bundesebene voranzutreiben.

Bremens KV-Chef Hermann: Das Konsumverhalten der Patienten droht, das System zu sprengen.
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Die Kernforderung: Es sollen an den Krankenhäusern integrierte Notfallzentren geschaffen werden, die im Gegensatz zum bestehenden Bereitschaftsdienst 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche geöffnet sind. Diese Stellen könnten von der KV, den Krankenhäusern oder aber auch von Kommunen und Ärztenetzwerken betrieben werden, so die Vorstellung der beiden Parteien. Wie viele solcher Notfallzentren entstehen sollen, lassen deren gesundheitspolitische Sprecher offen. An jedem Krankenhaus sei das aber sicher nicht möglich.

Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen sieht die Pläne kritisch. „Es ist richtig, dass sowohl die stationären als auch die ambulanten Notfalleinrichtungen an Grenzen stoßen“, sagt Vorstand Dr. Jörg Hermann. Aber: „Durch ein 24/7‐Angebot würde sich die Zahl der Komfortpatienten mit medizinischen Lappalien in der Notfallversorgung nur noch weiter erhöhen und genau das Gegenteil wollen wir erreichen.“ Eine grundlegende Reform müsse daher eine Kostenbeteiligung der Patienten beinhalten, um eine echte Steuerungswirkung zu entfalten.

Denn nicht nur die Notaufnahmen der Krankenhäuser seien voll. Auch die Bereitschaftsdienstzentralen seien überlaufen. Die Pläne, „deshalb ein weiteres medizinisches Angebot schaffen zu wollen, das Patienten 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche aufsuchen können, führt nur zu einer Erhöhung des Patientenaufkommens“, warnt der KV-Chef.

Ein Problem sei das massiv steigende Anspruchsdenken der Patienten, befeuert durch eine Politik, die den Menschen vorgaukele, „dass jeder jederzeit und überall zum Flatrate‐Tarif der gesetzlichen Krankenversicherung eine exzellente medizinische Versorgung bekommt. Dieses Konsumverhalten droht, das System zu sprengen.“ Deshalb müsse die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen durch eine Selbstbeteiligung gesteuert werden.

Eine solche Eigenbeteiligung der Patienten sei in fast allen europäischen Ländern bereits Realität. „Niemand muss sich sorgen, dass er sich eine Krankheit nicht leisten kann. Wer aber meint, mit einem eingewachsenen Zehennagel in der Notaufnahme aufzuschlagen, wird es sich zweimal überlegen“, sagt Hermann.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem Konzept von SPD und Grünen: Es fehle ein Finanzierungs‐ und Personalkonzept. „Den Regierungsparteien ist hoffentlich nicht entgangen, dass Krankenhäuser und Arztpraxen in Bremen und Bremerhaven händeringend medizinisches Personal suchen“, betont Hermann. „Wer also soll es machen? Und wer soll’s bezahlen?“