Zwangsverpflichtung für Ärzte?

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  • Letzter Beitrag 11 Juni 2020
Dr. Günter Gerhardt schrieb 30 März 2020

Das Land NRW will mit einem neuen Gesetz Ärzte zum Einsatz in Epidemie-Zeiten verpflichten (s.u.)

Wenn das verabschiedet wird, so wird das ganz bald auch in Berlin verabschiedet.

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Dr. Günter Gerhardt schrieb 30 März 2020

Im Epidemie-Fall

NRW will Ärzte mit neuem Gesetz verpflichten

Die Corona-Krise könnte in NRW zu einer Art Notstands-Gesetz führen, das den Behörden besondere Eingriffsmöglichkeiten gibt. Unter anderem sollen Ärzte zum Einsatz verpflichtet werden. Mittwoch wird der Gesetzentwurf dem Landtag vorgestellt.

Landtag in NRW: Hier soll der Gesetzentwurf am Mittwoch vorgestellt werden.
© Landtag NRW

Als Reaktion auf die aktuelle Corona-Pandemie und als Vorbereitung für weitere Krankheitswellen hat die Landesregierung einen außergewöhnlichen Gesetzentwurf vorgelegt. In dem Entwurf wird unter anderem das Verpflichten von Ärzten thematisiert. Außerdem sollen die Behörden berechtigt werden, medizinisches Material sicherzustellen. An Haupt- und Realschulen könnten die Abschlussprüfungen dieses Jahr laut dem Gesetzentwurf ausfallen.

Das Kabinett hatte den Entwurf des Gesetzes am Samstag beschlossen, ein 47-seitiges Schreiben samt Begründung ging an die Fraktionen. Nach dpa-Informationen will Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Mittwoch den Landtag zu den geplanten Maßnahmen unterrichten. Das Gesetz könnte im beschleunigten Verfahren verabschiedet werden. Die wichtigsten Punkte des Gesetzentwurfs im Überblick:

GRUNDLAGE: Das Gesetz soll bei einer „Epidemischen Lage von landesweiter Tragweite“ greifen. Riefe der Bundestag eine nationale Epidemie aus, würde das logischerweise auch für NRW gelten. Der Landtag kann laut Gesetzentwurf aber auch eine epidemische Lage feststellen – eben nur für das eigene Bundesland. Der Landtag würde die Lage auch wieder aufheben.

PERSONAL: Die Behörden könnten Ärzte, Pfleger und Rettungskräfte verpflichten, mit gegen die Epidemie zu kämpfen. Voraussetzung – so der Gesetzentwurf: Die Landesregierung stellt formell einen „erheblichen Mangel“ an Personal fest. Die Chefs der jeweiligen Personen könnten das nur verhindern, indem sie nachweisen, dass zum Beispiel ein Arzt in der aktuellen Lage in seinem Job unverzichtbar wäre.

KRANKENHÄUSER: Im Falle einer Epidemie wäre das Gesundheitsministerium befugt, Krankenhäuser zur Schaffung von Behandlungskapazitäten zu zwingen. Die „Beteiligten des Gesundheitswesens“ könnten unter anderem zu bestimmten Untersuchungen verpflichtet werden.

MEDIZINISCHES MATERIAL: Das Gesetz würde die Behörden berechtigen, „medizinisches, pflegerisches und sanitäres Material einschließlich der dazu gehörigen Rohstoffe sowie Geräte“ bei Firmen sicherzustellen – und dann zu einem normalen Preis abzukaufen. Zudem könnte man Firmen verbieten, die Sachen an andere weiter zu geben.

KOMMUNEN: Den Kreisen und Gemeinden soll das neue Gesetz Beschlüsse im vereinfachten Verfahren ermöglichen. So könnte ein Stadtrat zum Beispiel schriftlich abstimmen, statt zusammen zu treten.

SCHULEN UND UNIS: Das Schulministerium soll berechtigt werden, dieses Jahr das Abschlussverfahren an Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen auszusetzen. Sitzenbleiben könnte für dieses Schuljahr abgeschafft werden. Auch die Prüfungsregeln an Unis würden einmalig gelockert. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, dass dies greifen könnte, wenn der Schulbetrieb nicht ab dem 20. April wieder in vollem Umfang aufgenommen werden könnte. Das gleiche gelte für Hochschulen.

VERWALTUNG: Da im Fall einer Epidemie viele Menschen im Homeoffice arbeiten und schwer an Originaldokumente kommen beziehungsweise sie nicht persönlich beim Amt vorlegen können, sollen elektronisch versandte Sachen reichen. Behörden- und Postgänge könnten so vermieden und die Ausbreitung der Krankheit verringert werden.

Die Landesregierung hat den Gesetzentwurf nach eigenen Angaben im Rekordtempo aufgestellt und ihn am Wochenende neben den Fraktionen auch den zuständigen Verbänden zugesandt. Die Regierung baut darauf, dass der Landtag das Gesetz in einem beschleunigten Verfahren verabschiedet – möglicherweise bereits am Mittwoch.

SPD sieht mehrfache Verfassungsverstöße

Die SPD im nordrhein-westfälischen Landtag lehnt das geplante Gesetz der Landesregierung ab und hält es in mehreren Punkten für verfassungswidrig. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte am Montag, dass das geplante Gesetz „massiv in Grundrechte“ eingreifen würde. „Wir sind in einer Gesundheitskrise und nicht Demokratiekrise“, sagte Kutschaty. Seine Fraktion sei von dem Gesetzentwurf und dem Plan der Regierung, es bereits am Mittwoch in den Landtag einzubringen, überrascht worden.

Kutschaty – Rechtsanwalt und ehemaliger NRW-Justizminister – sprach von einem der „drastischsten Gesetze“, das ihm in seiner juristischen und politischen Tätigkeit begegnet sei. Der Entwurf verstoße mehrfach gegen die Verfassung. Unter anderem würde es die Landesregierung theoretisch berechtigen, sogar Redakteure in den Krankenhausdienst zu beordern, sagte Kutschaty in einer Videokonferenz mit Journalisten. Die SPD-Fraktion werde darauf bestehen, dass sich die jeweiligen Fachausschüsse noch mit dem Entwurf beschäftigen und Sachverständige angehört werden. Der Landtag könnte dann einige Tage später noch einmal zusammentreten, so Kutschaty.

Die NRW-Regierung ging ihrerseits davon aus, dass der Landtag das Gesetz bereits am Mittwoch beschließt. Kutschaty betonte, dass seine Fraktion den Entwurf nicht in Gänze ablehne: Medizinisches Material zu beschlagnahmen, sei zum Beispiel in Ordnung.


Wörtlich heißt es in dem Entwurf, der dem änd vorliegt:

 

§ 15
Verpflichtung zum Einsatz medizinischen und pflegerischen Personals


(1) Die zuständigen Behörden nach § 3 können von Personen, die zur Ausübung der Heilkunde befugt sind oder über eine abgeschlossene Ausbildung in der Pflege, im Rettungsdienst oder in einem anderen Gesundheitsberuf verfügen, die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen verlangen, soweit das zur Bewältigung der epidemischen Lage nach § 11 dringend erforderlich und angemessen ist. Die Behörden können jede Person nach Satz 1 unter gleichen Voraussetzungen auch zur Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen an Einrichtungen der medizinischen oder pflegerischen Versorgung zuweisen und verpflichten.

(2) Maßnahmen nach Absatz 1 sind nur zulässig, wenn die Landesregierung zuvor durch Rechtsverordnung neben der epidemischen Lage einen erheblichen Mangel an medizinischem oder pflegerischem Personal festgestellt hat. Ist ein Beschluss der Landesregierung nicht rechtzeitig möglich, entscheidet das für das Gesundheitswesen zuständige Ministerium. Die Entscheidung ist im Ministerialblatt zu veröffentlichen und baldmöglichst durch eine Verordnung der Landesregierung zu bestätigen oder aufzuheben.

(3) Bei Personen, die in einem laufenden Anstellungs- oder Dienstverhältnis stehen, ist die Verpflichtung in Abstimmung mit dem Arbeitgeber oder Dienstherren der verpflichteten Person auszusprechen und auch ihm gegenüber wirksam. Dieser kann dem Einsatz nur widersprechen, wenn er auf den Einsatz der Personen zur Aufrechterhaltung einer Dienstleistung angewiesen ist, die der gesundheitlichen oder pflegerischen Versorgung der Bevölkerung oder der Sicherung anderer
unverzichtbarer Versorgungsstrukturen in der epidemischen Lage dient. Für Mitglieder von Feuerwehren gilt, dass der jeweils zuständige Aufgabenträger für den Brandschutz der Verpflichtung mit befreiender Wirkung widersprechen kann, wenn aufgrund der Heranziehung eines oder mehrerer Mitglieder seiner Feuerwehr die Gewährleistung des Brandschutzes wesentlich beeinträchtigt ist.

(4) Die nach Absatz 1 in Anspruch genommenen Personen haben, soweit die Verpflichtung nicht nach Absatz 3 erfolgt, für ihre Tätigkeit einen Erstattungsanspruch, der sich an einer tariflichen Vergütung für Beschäftigte des Landes Nordrhein-Westfalen für eine vergleichbare Tätigkeit orientiert. Die Geltendmachung darüber hinausgehender Einkommenseinbußen ist möglich. Im Fall einer Verpflichtung nach Absatz 3 hat der Arbeitgeber einen Anspruch auf Ersatz der ihm für den Zeitraum der Dienstverpflichtung entstehenden Kosten. Ersparte Aufwendungen oder weiterlaufende Refinanzierungen sind anzurechnen.

(5) Erstattungsansprüche im Falle einer Inanspruchnahme sind
1. bei einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 1 von der in § 8 Absatz 1 Satz 1 genannten Behörde auf Kosten des Landes abzurechnen, oder
2. bei einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 von derjenigen Einrichtung zu tragen, der die Person zugewiesen wurde.

(6) Die zuständige Behörden nach § 3 können die Gemeinden als Träger der Feuerwehren, die anerkannten Hilfsorganisationen, die Verbände der freien Wohlfahrtspflege und andere vergleichbare Institutionen verpflichten, ihnen kostenfrei Namen, Alter, Kontaktdaten sowie den jeweiligen Ausbildungsstand ihrer Mitglieder zu übermitteln, die über eine medizinische oder pflegerische Ausbildung oder eine Ausbildung in einem sonstigen Gesundheitsberuf verfügen und nicht schon unmittelbar in der Versorgung erkrankter oder pflegebedürftiger Personen tätig sind.

(7) Die zuständigen Behörden nach § 3 können die Ärztekammern und die Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe verpflichten, ihnen kostenfrei Namen, Alter, ärztliche Fachrichtung und Kontaktdaten ihrer aktiven oder bereits im Ruhestand befindlichen Mitglieder zu übermitteln, die nach Maßgabe der zuständigen Behörden geeignet sind, einen für die Bewältigung der epidemischen Lage nach § 11zusätzlich erforderlichen ärztlichen Personalbedarf zu decken.


 

 

30.03.2020 08:05:52, Autor: dpa/änd

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 31 März 2020

NRW-Landtag

SPD-Fraktionschef rechnet nicht mit Beschluss von Notstandsgesetz

SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty geht nicht davon aus, dass der NRW-Landtag am Mittwoch das von der Landesregierung geplante Epidemie-Gesetz verabschiedet. Vielmehr sei ein „vernünftiges parlamentarisches Verfahren“ notwendig.

Die NRW-Landesregierung stößt die Demokratie im Land in eine Krise, findet Kutschaty.
© SPD-Fraktion NRW

Es werde am Mittwoch nicht „zu einer abschließenden Abstimmung über dieses Gesetzpaket kommen. Da bin ich sehr zuversichtlich“, sagte Kutschaty am Dienstag bei WDR5. Die SPD sei in Gesprächen mit den Fraktionen der Grünen, FDP und CDU. „Wir brauchen bei solchen weitgreifenden Maßnahmen und Einschnitten in die Freiheitsrechte der Bevölkerung ein vernünftiges parlamentarisches Verfahren.“ Unter anderem solle es in der kommenden Woche eine Sachverständigenanhörung geben.

Zum Schutz gegen weitere Corona-Infektionswellen hatte die nordrhein-westfälische Regierung am Montag einen außergewöhnlichen Gesetzentwurf vorgelegt. Er sieht unter anderem Zwangsverpflichtungen von Ärzten im Notfall vor. Außerdem sollen die Behörden berechtigt werden, medizinisches Material sicherzustellen. SPD und Grüne halten den aktuellen Entwurf in Teilen für verfassungswidrig und hatten schon am Montag angekündigt, einer Blitz-Behandlung am Mittwoch im Landtag nicht zustimmen zu wollen. Die Landesregierung stoße die Demokratie im Land in eine Krise, bekräftigte Kutschaty am Dienstag. Das Parlament würde „entmachtet“. Es gebe derzeit eine „Gesundheitskrise“, aber keine „Demokratiekrise“.

Das Kabinett hatte den Entwurf des Gesetzes am Samstag beschlossen. Am Montagnachmittag wurden die 84 Seiten auf der Internetseite des Landtags veröffentlicht. Am Mittwoch soll das Plenum von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) unterrichtet werden.

 

31.03.2020 09:05:24, Autor: dpa/änd

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 31 März 2020

Hartmannbund zu Notstandsgesetzen

„Ausdruck eines völlig unbegründeten Misstrauens“

Hartmannbund-Chef Reinhardt warnt die Bundesländer vor einem „Überbietungswettbewerb an Einschränkungen und Eingriffsmöglichkeiten“ in der Corona-Krise. Er sieht darin auch ein Misstrauen gegenüber Ärzten. Auch der Hausärzteverband Nordrhein kritisiert die Politik scharf.

„Wir dürfen bei allem Respekt vor erkennbarem Handlungsbedarf jetzt nicht jedes Maß verlieren“ , warnt Reinhardt.
© änd

Die Regierungen der Bundesländer sollten bei der Entwicklung neuer Gesetzesvorhaben im Zuge der Corona-Epidemie das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht aus den Augen verlieren, sagte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, am Dienstag. „Wir dürfen bei allem Respekt vor erkennbarem Handlungsbedarf jetzt nicht jedes Maß verlieren und in einen Überbietungswettbewerb an Einschränkungen und Eingriffsmöglichkeiten einsteigen.“

Sowohl im stationären wie auch im ambulanten Bereich gebe es leistungsfähige Versorgungsstrukturen. Man müsse sich deshalb genau überlegen, was man durch Zwangsmaßnahmen noch erreichen wolle, was man nicht auch in Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung erreichen könne.

 

Mit Blick auf das geplante umstrittene Notstandsgesetz in Nordrhein-Westfalen sagte Reinhardt, die vorgesehenen Eingriffe in Freiheits- und Eigentumsrechte würfen nicht nur verfassungsmäßige Fragen auf, „sondern sie sind vor allem auch Ausdruck eines völlig unbegründeten Misstrauens gegenüber maßgeblichen Akteuren der Versorgung“. Man dürfe die Ärzte nicht vor den Kopf stoßen oder sie im Zweifelsfall zu „Rekruten“ machen, sondern müsse ihnen vielmehr Vertrauen aussprechen. „Bisher sehe ich jedenfalls keinen Grund, dieses Vertrauen in Zweifel zu ziehen und insofern auch keinen Anlass zu überzogenem Aktionismus“, sagte der Hartmannbund-Vorsitzende. Vertrauensbildend mit Blick auf Politik und öffentliche Verwaltung sei es beispielsweise, wenn diese ihre Leistungsfähigkeit bei der Beschaffung von Schutzkleidung unter Beweis stellen würden.

Ohne Hausärzte läuft es nicht

„Dass Nichtärzte per Gesetz jetzt Ärzten Vorschriften machen wollen, wie in einer medizinischen Ausnahmesituation zu reagieren ist, ist unangemessen.“ Mit dieser Kritik wenden sich die Vorsitzenden des Hausärzteverbandes Nordrhein, Dr. Oliver Funken und Dr. Jens Wasserberg, am Dienstag an die Politik. Sie seien „entsetzt, wie wenig die Politik in der aktuellen Pandemie den Einsatz eines gesamten Berufsstandes anerkennt. Die Tätigkeit der Ärzteschaft ist immer konstruktiv und freiwillig zum Wohle der Patienten ausgerichtet.“

Die Ärzteschaft - allen voran die Hausärzte - sorgten seit Beginn des Jahres dafür, dass die medizinische Versorgung auf den aktuellen Krisenmodus eingestellt sei und weitestgehend reibungslos funktioniere. Dies geschehe mit einem hohen persönlichen Einsatz. „Vorausschauendes und pragmatisches Handeln vor Ort hat das Versagen größerer Ordnungsstrukturen einigermaßen kompensiert. Aus der Politik ist bisher nichts Zielführendes produziert worden. Die Vorschläge der NRW-Landesregierung zum Epidemiegesetz sind der Tiefpunkt der politischen Krisenkommunikation. Sie stellen einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzteschaft dar“, empören sich Funken und Wasserberg. „Ohne den Sachverstand der Hausärzte aus der Versorgungsrealität wird es nicht gelingen Krisen wie die Coronavirus-Epidemie erfolgreich zu bewältigen“, warnen sie.

 

 

 

31.03.2020 09:44:08, Autor: sk/ks

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 31 März 2020

NRW-Ministerpräsident Laschet

Zwangsverpflichtung nur "in allerschlimmsten Notfällen“

Zwangsverpflichtete Ärzte, staatlich beschlagnahmtes Medizin-Material, ausgesetzte Prüfungen an Schulen und Unis – das von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen geplante Corona-Notstandsgesetz sorgt für Kritik. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verteidigt das Vorhaben nun.

Für diesen „Fall X“ müssen die Rechtsgrundlagen schon da sein.
© Laurence Chaperon/Land.NRW

Es handele sich nicht um ein „Notstandsgesetz“, so der CDU-Politiker am Montag in Düsseldorf. „Nein, das ist ein Handlungsgesetz für bestimmte Felder“. Laschet will das Gesetz am liebsten schon am Mittwoch „möglichst parteiübergreifend“ durch den Landtag bringen. SPD und Grüne möchten ihre Hände aber nicht für Grundrechtseinschränkungen im Eilverfahren heben. „Wir sind in einer Gesundheitskrise und nicht Demokratiekrise“, betont Oppositionsführer Thomas Kutschaty.

Auch der Münsteraner Rechtswissenschaftler Janbernd Oebbecke hat Zweifel an der Verfassungsfestigkeit des geplanten Epidemie-Gesetzes. „Bauchschmerzen“ habe er vor allem bei den Zwangsverpflichtungen für das Personal und wegen der fehlenden Befristungen, sagt der Staatsrechtler. Dies sei „demokratisch problematisch“. In Artikel 19 des Grundgesetzes heißt es: „In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ Artikel 12 verankert zudem das Grundrecht auf freie Berufswahl. „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht“, heißt es dort. Ob diese Ausnahme auf die Corona-Krise anwendbar sei, sei zumindest fraglich, meint der emeritierte Rechtsprofessor.

Der Gesetzentwurf tangiert auch den Datenschutz: Hilfs- und Wohlfahrtsorganisationen sollen verpflichtet werden können, Daten über medizinisch oder pflegerisch einsetzbare Mitglieder zu übermitteln. Die Berechtigung auf medizinisches Material zugreifen zu können, sei „Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums“, heißt es in der ungewöhnlichen Vorlage der schwarz-gelben Regierung.

Trotz des drastischen Instrumentariums sichern einige Ärztefunktionäre ihre Kooperationsbereitschaft zu. Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, formuliert diplomatisch: „Die Ärzteschaft unterstützt alle notwendigen Maßnahmen der Landesregierung zur Pandemiebekämpfung. Eine Zwangsverpflichtung von Ärztinnen und Ärzten ist nicht notwendig, weil die Kollegenschaft ohnehin eine überwältigende Bereitschaft zeigt, alles Menschenmögliche zur Pandemiebekämpfung zu tun.“ Ähnlich äußert sich der Präsident der Ärztekammer Westfalen Lippe, Dr. Johannes Albert Gehle. Schon jetzt hätten sich im Bereich der Kammer 1.000 Ärzte freiwillig gemeldet, um im Kampf gegen Corona zu helfen. Die neue Rechtsgrundlage sei hilfreich, um an den Krisenherden unbürokratisch einzuspringen, argumentiert der Facharzt für Anästhesiologie und Innere Medizin.

Dass mit dem Gesetz auch Urlaube von Ärzten im Notfall kassiert werden könnten, schockt den Kammerpräsidenten nicht. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt jemand fröhlich pfeifend in den Urlaub fährt - wohin auch.“ Es müsse auch kein Patient befürchten, dass infolge möglicher Verpflichtungen nicht hinreichend qualifizierte Ärzte auf den Intensivstationen eingesetzt würden, versichert er.

Wesentlich kritischer hatten sich am Montag der Virchow-Bund sowie die Freie Ärzteschaft geäußert. Die niedergelassenen Ärzte verdienten nun Unterstützung – keine Drohszenarien rund um eine Zwangsverpflichtung (der änd berichtete).

Laschet gibt sich unterdessen optimistisch, nach dem 25 Milliarden Euro umfassenden Rettungsschirm auch noch die Rechtsgrundlagen für den medizinischen Extremfall durch den Landtag zu bringen. Alle verfassungsrechtlichen Bedenken würden ausgeräumt und erörtert, betonte er in Aachen. Nur „in allerschlimmsten Notfällen“ wäre es dann möglich, etwa einen Schönheitschirurgen auf das das medizinisch Notwendigste zu verpflichten, erklärt er. Für diesen „Fall X“ müssten die Rechtsgrundlagen dann aber schon da sein. Es gehe darum, im Notfall die beste medizinische Betreuung für jeden sicherstellen zu können und „Zustände wie in Bergamo bei uns zu verhindern“, wirbt Laschet für seinen Vorstoß. „Das ist das Ziel all' unseres Strebens.“

Einen ersten Hinweis, wie weit der Staat dabei gehen darf, könnten in dieser Woche die Richter am Oberverwaltungsgericht in Münster geben: Dort wird eine Entscheidung über die Klage eines Aacheners gegen das von der Landesregierung erlassene Kontaktverbot erwartet.

31.03.2020 08:18:44, Autor: dpa/red

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 10 April 2020

„Epidemiegesetz“

KV Nordrhein begrüßt Einlenken des Landtags

Nach langen Verhandlungen über das umstrittene Epidemiegesetz in Nordrhein-Westfalen haben die Fraktionsspitzen von CDU, FDP, SPD und Grünen eine Einigung erzielt. Zentraler Punkt: Die zwangsweise Verpflichtung medizinischen Personals für den Dienst in Krankenhäusern wurde aus dem Gesetz gestrichen. Stattdessen sollen sich Ärzte und Pfleger in ein Freiwilligenregister eintragen.

Bergmann: "Ärzte wollen und können helfen – sie müssen nicht dazu gezwungen werden."
© KVNO

Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) zeigte sich am Donnerstag in einer ersten Stellungnahme erleichtert. „Die Mitglieder des Landtags haben sich von den Argumenten der ärztlichen Körperschaften und der Berufsverbände überzeugen lassen und sehen von einer gesetzlichen Verpflichtung medizinischen Personals für die Bekämpfung der Pandemie ab. Wir begrüßen diese Entscheidung sehr, denn eine Zwangsverpflichtung ärztlichen Personals wäre vor dem Hintergrund der vielen Aktivitäten der ärztlichen Körperschaften zur Eindämmung der Virus-Verbreitung und der hohen Zahl an freiwilligen Helferinnen und Helfern kontraproduktiv gewesen – von den verfassungsrechtlichen Bedenken ganz abgesehen“, sagte Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein.

Die KV Nordrhein habe die Abgeordneten des Landtags gemeinsam mit den weiteren ärztlichen Körperschaften in Nordrhein-Westfalen insbesondere in der Anhörung am Montag ausführlich über die Aktivitäten zum Aufbau neuer Strukturen informiert: Innerhalb weniger Wochen, manchmal sogar Tagen seien Diagnosezentren, eine Corona-Hotline im Rahmen der 116 117 sowie Besuchsdienste und Behandlungszentren funktionsfähig gemacht worden. Auch die Stellungnahmen der Berufsverbände hätten das in der Krisensituation deutlich erkennbare ärztliche Ethos hervorgehoben: „Ärztinnen und Ärzte wollen und können helfen – sie müssen nicht dazu gezwungen werden“, so Bergmann.

Ärztliches Personal mobilisieren

Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die beiden Ärztekammern in NRW haben gegenüber dem Land zugesagt, dass sie medizinisches Personal mobilisieren, wenn es die Situation erfordert. Viele sind schon aktiv: „Allein in der Arztrufzentrale NRW sind bereits mehr als 100 Ärztinnen und Ärzte freiwillig im Einsatz, die am Telefon Anrufer bei Fragen zum Coronavirus beraten. In den Diagnosezentren und bei Hausbesuchsdiensten sind viele unserer vertragsärztlichen Mitglieder zusätzlich zu ihrer Regelversorgung aktiv“, sagt Dr. Carsten König, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein.

Im nächsten Schritt etablieren die Ärztekammer Nordrhein und die KV Nordrhein jetzt ein neues Freiwilligenregister für Ärzte. „Wir werden Ärzte gemeinsam mit der Ärztekammer dazu aufrufen, sich dort zu melden und zu registrieren“, so der Vorstand der KV Nordrhein. Anders als bei der geplanten Dienstverpflichtung durch die Behörden sei es hier möglich, die Einsatzmöglichkeiten selbst zu wählen. Das Portal ist erreichbar unter www.meineaekno.de („COVID-19 Registrierung Ärzte“) und über die von der KV Nordrhein betriebene Webseite coronavirus.nrw („hilfe.coronavirus.nrw“).

Mehr Schutzmaterial nötig

Bei allen Einsätzen, insbesondere jenen mit Kontakt zu infizierten Patienten, sei vor allem Schutzmaterial in ausreichenden Mengen vonnöten. „Unsere Botschaft an die Politik lautet nach wie vor: Es mangelt nicht an Motivation, sondern an Schutzmaterial“, sagt KVNO-Chef Bergmann. Die Bemühungen der KVNO, auf einem leergefegten Markt Masken, Kittel, Desinfektionsmittel usw. zu bekommen, sind teilweise erfolgreich. „Wir sind aber dringend auf weitere Lieferungen angewiesen. Es kommt bei weitem noch nicht genug bei den Praxen an.“

09.04.2020 16:04:58, Autor: red

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 11 Juni 2020

Niedersachsen

Zwangsverpflichtung von Ärzten vom Tisch

Aufatmen in Niedersachsen: Die Landesregierung hat ihre Pläne zur Zwangsrekrutierung von Ärzten in pandemischen Krisenzeiten wieder eingestampft. Kassenärztliche Vereinigung (KVN) und Ärztekammer zeigen sich erleichtert.

Wenker: Der Zwang wäre weder angemessen noch notwendig gewesen.

Auf diese Nachricht aus dem Niedersächsischen Landtag hatten viele Ärzte gehofft: Eine Mehrheit der Abgeordneten hat sich schließlich doch dagegen ausgesprochen, Angehörige der Heil- und Pflegeberufe bei Pandemien per Zwang zu verpflichten.

„Damit haben unsere gemeinsam von Ärztekammer Niedersachsen und Kassenärztlicher Vereinigung Niedersachsen geführten intensiven Gespräche der vergangenen Tage Erfolg gehabt. Wir bedanken uns insbesondere bei den Fraktionen von CDU, SPD und Grünen für die konstruktiven Gespräche“, freuten sich Ärztekammerpräsidentin Dr. Martina Wenker und KV-Chef Mark Barjenbruch am Donnerstag in Hannover.

Es sei weder angemessen noch notwendig, Angehörige der Heilberufe per Zwang zu verpflichten. Wenker: „Notwendig ist jetzt der Dank für den bislang hervorragenden Einsatz von Ärzteschaft und Pflegeberuflern. Vertrauen für die Bewältigung kommender Herausforderungen ist jetzt das Gebot der Stunde.“

„Die Zwangsverpflichtung wäre ein ganz falsches Signal an Ärzte, Pflegepersonal und Öffentlichkeit gewesen. Es mangelt nicht an der Motivation dieser Berufsgruppen. Mit maximalem Einsatz stemmen derzeit tausende Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegerinnen, Pfleger und andere medizinische Fachkräfte das Gesundheitswesen in Niedersachsen - in den Arztpraxen wie in den Krankenhäusern“, kommentierte Barjenbruch.

04.06.2020, Autor: js

 

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