MDK
MDK: Wirklich unabhängig genug?
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) entscheidet, was Kassen zahlen müssen – ist aber von diesen abhängig. Eine Reform soll das ändern – wenn es nach dem Gesetzentwurf des Bundeskabinetts geht
von Julia Rudorf, Christian Guht, 21.10.2019
Es schreit nach einer Reform: Kritikern zufolge mangelt es dem MDK an Objektivität und Unabhängigkeit. Jens Spahn will die Institution nun organisatorisch von den Kassen lösen
© W&B/Nina Schneider
Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) ist eine so beschäftigte wie umstrittene Institution. Laut eigenen Angaben verfasste sie 2018 über acht Millionen Stellungnahmen und Gutachten für gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherungen. Sie stellte Pflegebedürftigkeit fest, prüfte Klinikrechnungen – prinzipiell, um sicherzustellen, dass die Beiträge der Versicherten sinnvoll eingesetzt werden.
Es geht um viel Geld. Etwa bei den Überprüfungen der Krankenhausrechnungen. Mit mittlerweile 78 Milliarden Euro sind Klinikbehandlungen der größte Posten im Gesundheitswesen. Bei über zwei Millionen Versicherten erstellten MDK-Mitarbeiter Gutachten zur Pflegebedürftigkeit. Von ihren Empfehlungen hängt ab, ob und wie viel die Pflegekasse zahlt.
Wie objektiv ist der MDK wirklich?
An Objektivität und Unabhängigkeit des MDK gab es in der Vergangenheit immer wieder Zweifel. "Viele Patienten und Pflegebedürftige haben den Eindruck, dass die Medizinischen Dienste der verlängerte Arm der Krankenkassen sind und vor allem Kosten einsparen sollen", berichtet Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland.
Der Spitzenverband der Fachärzte monierte vergangenes Jahr beispielhaft den Fall einer Patientin, deren Rehabilitationsbehandlung vom MDK abgelehnt worden war. Aufgrund ihrer Demenz wurde ihr Therapiepotenzial als "stark limitiert" bewertet. Diese Annahme sei aber spekulativ gewesen, urteilte ein Gericht und gab der Frau recht. Sie bekam die Reha nachträglich zugesprochen.
Reform für mehr Unabhängigkeit
Dass die Verflechtungen zwischen den beiden Institutionen vielleicht zu eng sind, findet auch Gesundheitsminister Jens Spahn: "Der Medizinische Dienst braucht die Unabhängigkeit von den Krankenkassen, um glaubwürdig und handlungsfähig zu bleiben." Das Bundeskabinett hat deshalb einen Gesetzentwurf zur Reform auf den Weg gebracht, um den MDK organisatorisch etwas von den Kassen zu lösen.
Das wichtigste Ziel der Reform ist die Stärkung der institutionellen Unabhängigkeit, sagt auch Professorin Claudia Schmidtke, Herzchirurgin und Patientenbeauftragte der Bundesregierung. Bislang waren entscheidende Posten des MDK-Gremiums mit Vertretern der Kassen besetzt. Die Verwaltungsräte hätten bisher faktisch ein Spiegelbild der Verwaltungsräte der Krankenkassen dargestellt, erklärt Schmidtke.
"Wir sehen uns als unabhängige Organisation. Diese wird nicht dadurch gestärkt, dass die soziale Selbstverwaltung geschwächt wird", hält Dr. Peter Pick dagegen. Der Betriebs- und Volkswirt ist Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), der die Arbeit des MDK auf Bundesebene koordiniert.
Personelle Umstrukturierung in der Kritik
Mit der Reform soll sich die personelle Zusammensetzung der Verwaltungsräte zugunsten neuer Ärzte-, Verbraucher- und Patientenvertreter ändern. Diese würden durch die Verwaltungsbehörden der jeweiligen Länder benannt.
Selbstverwalter aus Gremien der Kranken- und Pflegeversicherungen dürften hingegen – anders als bislang üblich – nicht mehr mitmachen. Dadurch ginge dem MDK aber wichtige Expertise verloren, glaubt Pick. Auch nehme politische Einflussnahme zu. So würden künftig Bund und Länder Verwaltungsräte mitbesetzen – und damit auch Haushalte genehmigen und vorgeben. "Das Gesetz setzt die falschen Akzente. Da sehen wir Änderungsbedarf."
Änderungswünsche hat auch Verena Bentele. Sie fordert deutlich mehr Mitspracherechte für Patienten. "Nach der Reform sollen im Verwaltungsrat 16 Vertreter der Krankenkassen sitzen und nur fünf Vertreter von Patienten und Pflegebedürftigen. Damit sind die
Kassen immer noch deutlich überrepräsentiert."
Bürokratie zulasten der Patientenversorgung
Für Diskussion sorgt auch das zweite Ziel der Reform: Abrechnungsprüfungen bei Kliniken sollen seltener stattfinden, dafür aber effektiver werden. Hintergrund ist deren steigende Zahl. Diese habe sich zwischen 2014 und 2018 von rund 1,9 Millionen auf 2,6 Millionen erhöht.
"Das hat mittlerweile zu einem enormen Aufwand geführt, der in erheblichem Ausmaß Personal bindet", sagt Schmidtke. Der Bundesrechnungshof merkte 2019 in einem Gutachten an, dass sich das "zunehmend zulasten der Patientenversorgung" auswirke.
Die neue Regelung sieht vor, dass maximal 15 Prozent der Fallabrechnungen gecheckt werden. Für Kliniken mit ordentlichen Prüfungsergebnissen sinkt die Quote weiter, Häuser mit mangelhafter Abrechnung können finanziell sanktioniert werden.
Anreize für korrekte Abrechnungen
Der MDK soll zudem weniger Einzelfälle prüfen – zugunsten sogenannter Strukturprüfungen. Kliniken müssten dafür nachweisen, dass sie grundsätzlich in der Lage sind, bestimmte Fälle adäquat zu behandeln, etwa durch geeignete Technik und erforderliche Personalschlüssel.
"Prüfungen zu reduzieren ist sicher richtig. Es muss sich aber zeigen, ob die Vorschläge wirken", sagt Peter Pick. Vor allem müssten Anreize geschaffen werden, korrekt abzurechnen. Die gibt es bislang nicht.
2016 nahmen die Gutachter des MDK über zwei Millionen Krankenhausrechnungen unter die Lupe. Etwa die Hälfte war fehlerhaft. Laut Bundesrechnungshof konnten die gesetzlichen Krankenkassen durch die Überprüfungen etwa 2,2 Milliarden Euro Versichertengelder zurückfordern.
Weniger Prüfungen, mehr Kosten
Damit könnte nun Schluss sein, fürchten Kassenvertreter. Denn ihre Prüfmöglichkeiten im größten Ausgabenblock seien de facto weiter limitiert worden, beklagt etwa der Aufsichtsratsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Dr. Volker Hansen.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen hat die möglichen Kosten für die Beitragszahler bereits beziffert. Müssten ab 2020 fehlerhafte Rechnungen "durchgewinkt werden", bezahlen die Versicherten möglicherweise 1,2 Milliarden Euro zu viel.
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