HzV schlägt Regelversorgung

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  • Letzter Beitrag 12 Oktober 2018
Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Oktober 2018

Warum klappt die HzV außerhalb von BaWü trotz nachgewiesener Wirksamkeit nur zögerlich?

Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Oktober 2018

 

HzV im Südwesten

„Die Arbeitsbedingungen der Hausärzte haben sich nachhaltig verbessert“

Seit zehn Jahren gibt es beim Vorreiter Baden-Württemberg die HzV. Ein voller Erfolg, sagt Hausärztverbandschef Dietsche. Das Modell rette Leben und erhöhe das Ärztehonorar.

 

Dietsche: „Ich verstehe nicht, warum die Gesundheitspolitik das Modell ignoriert.“
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Das in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren etablierte Modell der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) sollte möglichst schnell bundesweit ausgerollt werden. Das forderten Vertragspartner und Wissenschaftler am Dienstag in Berlin, wo anlässlich des zehnjährigen HzV-Vertrags zwischen der AOK und dem Hausärzteverband in Baden-Württemberg Evaluationsergebnisse des Projekts vorgestellt wurden. Prof. Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit, sagte in seiner Eigenschaft als Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Frankfurter Universität, dass die „Vorteile der HzV in Baden-Württemberg von Jahr zu Jahr deutlicher erkennbarer sind“. Gerlach leitete die Evaluation und sagte, dass die HzV ein Modell sei, dass flächendeckend den zunehmenden Versorgungsproblemen in der Republik entgegenwirken könnte. „Wenn wir alles einfach so weiterlaufen lassen, schädigen wir Patienten“, meinte er.

Dr. Berthold Dietsche, Vorsitzender des baden-württembergischen Hausärzteverbands, wünschte sich ebenfalls eine bundesweite Ausbreitung. „Ich verstehe nicht, warum die Gesundheitspolitik das Modell ignoriert“, sagte er und lobte die Auswirkungen auch für die Hausärzte. Deren „Arbeitsbedingungen haben sich nachhaltig verbessert“.

Kurz nachdem Selektivverträge vom Gesetzgeber ermöglicht wurden, war Baden-Württemberg vor zehn Jahren das erste Land, in dem die HzV ausgerollt wurde, heute ist sie dort am weitesten verbreitet. Die wichtigsten Vertragspartner sind der Hausärzteverband, die AOK und der Ärzteverband MEDI. 1,6 der insgesamt 4,4 Millionen AOK-Versicherten in Baden-Württemberg sind in den Vertrag eingeschrieben und etwa 5.000 Haus- und Kinderärzte. Teilnehmende Patienten verpflichten sich, Facharzttermine nur mit HzV-Überweisung in Anspruch zu nehmen, im Gegenzug bekommen sie zusätzliche Leistungen und etwa auch eine Zuzahlungsbefreiung auf rabattierte Arzneimittel. HzV-Ärzte werden für alle Leistungen unbudgetiert vergütet. Zusätzlich zum HzV-Vertrag gibt es inzwischen neun fachärztliche Selektivverträge, mit denen unter anderem schnellere Überweisungen vom Haus- zum Facharzt ermöglicht werden sollen. Hier sind 2.500 Fachärzte und Psychotherapeuten eingeschrieben, nächstes Jahr kommt ein neuer Vertrag dazu.

Ein Drittel mehr Geld

Für die Evaluation wurden HzV-Patienten mit einer gleich großen Gruppe anderer Patienten verglichen, die eine identische Alters- und Krankheitsstruktur haben, und zwar von 2011 bis 2016. Bei nahezu allen Belangen „gehen die Kurven immer weiter auseinander zu Gunsten der HzV-Patienten“, sagte Ferdinand Gerlach. Am beeindruckendsten sei gewesen, dass HzV-Teilnehmer ein geringeres Risiko hatten zu sterben: In fünf Jahren habe man knapp 1.700 vermiedene Todesfälle gezählt, betrachtet wurden dafür knapp 700.000 Patienten. Bei 166.000 Herzpatienten mit Krankenhausaufenthalt habe sich die Liegezeit um ingesamt 46.000 Tage reduziert. 89.000 Versicherte über 65 hätten 5.400 riskante Arzneimittelverordnungen weniger bekommen. Bei 120.000 Diabetikern seien 4.000 weniger schwerwiegende Komplikationen aufgetreten, also etwa Erblindungen, Amputationen, Herzinfarkte und Schlaganfälle. Und schließlich habe es bei einer Million Versicherten 1,2 Millionen unkoordinierte Facharztkontakte weniger pro Jahr gegeben. Das zeige, sagte Gerlach, dass mit der HzV Arzt-Patienten-Kontakte strukturierter abliefen. „Und alle Mitglieder des Sachverständigenrats sind sich einig, dass Deutschland hier riesigen Nachholbedarf hat.“

Hausärzteverbandschef Dietsche bezeichnete die HzV als Antwort auf die Probleme „einer tradierten Selbstverwaltung“. Die eingeschriebenen Ärzte würden nicht nur mehr Honorar erzielen, sondern auch den Wert ihrer Praxis steigern – weil sie Nachfolgern einen lukrativeren Patientenstamm brächten. Außerdem würden in der HzV Teamstrukturen und Arbeitsteilung befördert, was ebenfalls auf den Ärztenachwuchs eine hohe Anziehungskraft habe. Eine bessere Patientenversorgung werde gewährleistet, so Dietsche, weil es eine „konsequente Verpflichtung zur Fortbildung mit hausärztlichen Themen“ gebe.

AOK-Chef kritisiert Spahn und Kassen

Der Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, Dr. Christopher Hermann, sagte, dass die Ärzte über die HzV im Schnitt 30 Prozent mehr Geld bekämen als über die Kassenärztliche Vereinigung, da alle Leistungen bezahlt und viele zusätzlich vergütet würden. 618 Millionen Euro habe die AOK 2017 in die alternative Regelversorgung in Baden-Württemberg investiert, davon 400 Millionen in die HzV. Trotzdem habe man die Gesamtkosten im Vergleich zur Regelversorgung um 50 Millionen Euro senken können – etwa durch weniger Krankenhausaufenthalte. Hermann kritisierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für einen „Strukturkonservatismus“, der von allen Gesundheitspolitikern der Großen Koalition geteilt werde und nun etwa zum Terminservice-Gesetz geführt habe. Die dahinter stehende Haltung stehe innovativen Versorgungskonzepten wie der HzV im Wege.

Aber auch viele Krankenkassen stünden auf der Bremse, sagte Hermann. „Es macht natürlich vielen Spaß, sich in der Hängematte aufzuhalten, wenn das Regelsystem gut gefüttert ist“, beklagte er. Nicht zuletzt deswegen würden Krankenkassen heute kaum noch eine politische Rolle spielen, „außer wenn es darum geht, Gelder bereitzustellen“.

 

09.10.2018 15:36:37, Autor: tt

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