beim Aufräumen fiel mir gestern zufällig der Ausdruck einer alten änd-Meldung vom Dezember in die Hände. Es ging damals um eine große Bevölkerungsumfrage, die von der AOK durchgeführt wurde. Ergebnis: Nahezu 100 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass Gesundheitsberufe mehr Wertschätzung verdient hätten.
Nun – die eigenen Umfragen scheinen die AOK wenig zu interessieren. Zumindest hat die Kasse in dieser Woche skizziert, wie sie sich „Wertschätzung“ so vorstellt: Sie will „wieder mehr Leistungen in den budgetierten Teil der Gesamtvergütung zurückführen“ und die „Ausgabendynamik im ambulanten Bereich bremsen“.
Die Gelegenheit, mit einen harten Sparkurs durchzukommen, ist für die Kassen (pandemiebedingt) günstiger als je zuvor. Das ist der AOK-Chefetage natürlich ebenso bewusst wie die Tatsache, dass man manchmal einen Stein ins Wasser schmeißen muss, um zu schauen, wie hoch die Wellen sind. Wie hoch waren die Wellen der Empörung? Neben dem KBV-Vorstand hat sich nur Dr. Klaus Reinhardt – und das in seiner Funktion als Hartmannbund-Chef – öffentlich empört. Gestern stimmte immerhin der BNC noch mit ein.
Ein Sturm der Entrüstung sieht natürlich anders aus. Das ist auch der AOK klar, die oft den Eisbrecher für die anderen Kassen gibt. Also können wir uns in den nächsten Monaten auf harte Diskussionen mit den Kassen einstellen. Hoffen wir, dass dann etwas mehr Widerstand in der Ärzteschaft heranwächst....
Die Krankenkassen müssen sparen. Dass dies auch Folgen für die niedergelassenen Vertragsärzte haben dürfte, machte am Dienstag die AOK klar. In einem Positionspapier zur Bundestagswahl fordert sie, „wieder mehr Leistungen in den budgetierten Teil der Gesamtvergütung“ zurückzuführen. Auch bei der Sicherstellung soll alles anders werden.
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Das Zeugnis, das die Spitze des AOK-Bundesverbandes Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn ausstellt, liest sich ziemlich verheerend: Die Krankenkassen stünden unter einem „historischen Handlungsdruck“, sagte Volker Hansen, Aufsichtsratsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes der Arbeitgeberseite, am Dienstag bei der Vorstellung eines Positionspapiers zur Bundestagswahl. Dies sei nicht etwa die Folge der Corona-Pandemie, sondern die Folge einer „vollkommen verfehlten Politik“.
„Mit Blindflug gegen die Wand“ habe Spahn das Gesundheitssystem gefahren. Er habe das Geld der Versicherten „mit vollen Händen ausgegeben“. Allein in diesem Jahr seien elf Milliarden Euro zusätzlich zu finanzieren, im kommenden Jahr noch einmal 12 Milliarden Euro.
Hansen warf Spahn und seinen mehr als 20 Gesetzen, die er in der ablaufenden Legislaturperiode verabschieden ließ, „Aktionismus“ vor. Insgesamt sei bei den gesetzlichen Kassen bislang ein Defizit von 17 Milliarden Euro aufgelaufen. Die Rücklagen seien komplett aufgebraucht, klagt Hansen.
Der angekündigte Bundeszuschuss von sieben Milliarden Euro sei bei Weitem nicht ausreichend. „Wir brauchen ein Ende der Spahnschen One-Man-Show“, so Hansen. Man rufe nicht nach höheren einmaligen Bundeszuschüssen. Ziel müsse vielmehr eine langfristig gerechte Finanzierung der GKV sein.
„Aktionistische Gesetze ersetzen keine nachhaltige Politik“, sagte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Es gelte in den nächsten Jahren, den strukturellen Reformstau aufzulösen. Wie sich die AOK das vorstellt, beschreibt sie in ihrem 32-seitigen Positionspapier.
Darin finden sich allerlei Sparvorschläge, die auch die Vertragsärzte betreffen. Die AOK will nämlich „die Ausgabendynamik“ im ambulanten Bereich bremsen. Dazu wolle man die Vergütungssystematik mittelfristig so weiterentwickeln, „dass jegliche ambulant-ärztliche Leistungserbringung gleichermaßen vergütet wird und einheitlichen Mengensteuerungs- und Budgetierungsmaßnahmen unterliegt“.
„Durch Ausbudgetierung wurden kaum Versorgungsverbesserungen erreicht“
Kurzfristig müsse man wieder mehr Leistungen in den budgetierten Teil der Gesamtvergütung zurückführen. Los gehen solle es mit solchen Leistungen, die seit Inkrafttreten des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) im Jahr 2019 extrabudgetär vergütet werden. „Durch die Ausbudgetierung wurden hier kaum Versorgungsverbesserungen erreicht“, beklagt die AOK.
Zur Erinnerung: Vor drei Jahren hatten Ärzteverbände das Terminservicegesetz noch als „Einstieg in die Entbudgetierung“ gefeiert. Keine drei Jahre später begannen die Kassen damit, bei der Poliitk zu lobbyieren, um die Entwicklung wieder zurückzudrehen. Mit Erfolg: So beschloss die Bundesregierung vor wenigen Wochen, dass die damals mit dem TSVG beschlossene Ausbudgetierung von Leistungen für Neupatienten und in offenen Sprechstunden mittels einer Bereinigung teilweise wieder rückgängig gemacht werden soll.
Die AOK fordert zu dem eine regelmäßige Überarbeitung des EBM: „Der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) muss regelmäßig aktualisiert werden, damit Ungleichgewichte in den Bewertungen des EBM verhindert bzw. abgebaut werden. Grundlagen des EBM müssten stärker als bisher betriebswirtschaftliche Kalkulationen mit verpflichtender Teilnahme der Vertragsärzte „an den erforderlichen Kostenerhebungen“ sein.
Zudem verlangt die AOK wieder mehr Abrechnungs- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen: „In den vergangenen Jahren wurde diese gesetzlich immer wieder geschwächt, sodass sie zurzeit oft nur noch unter erschwerten Bedingungen stattfinden kann. Alle Leistungserbringer in der ambulanten Versorgung sollten stärker diesen Prüfungen unterliegen“, heißt es in dem Papier.
Neues Gremium soll Sicherstellungsauftrag übernehmen
Auch beim Thema Sicherstellung will die AOK große Veränderungen. „Versorgungsplanung und Sicherstellung dürfen sich nicht mehr an Sektorengrenzen, an Arztsitzen und Bettenzahlen orientieren, sondern an Versorgungsaufträgen und Leistungskomplexen“, heißt es. Auf der Bundesebene wolle man deshalb einen neuen Rahmen schaffen, der es ermöglicht, „die konkreten Versorgungsbedarfe vor Ort zu gestalten“.
Hierfür schlägt die AOK auf Landesebene die Einrichtung eines gemeinsamen Gremiums vor, das den Sicherstellungsauftrag übernehmen soll. Besetzt werden soll dies mit Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigungen, Landeskrankenhausgesellschaften und den Krankenkassen. Die Stimmenverteilung des Gremiums soll analog zum Gemeinsamen Bundesausschuss erfolgen – also paritätisch zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen. Ergänzt werden soll das neue Gremium um Vertreter der Behörden der Bundesländer in der Rolle der Unparteiischen. „Dieses 3+1Gremium übernimmt den Sicherstellungsauftrag, definiert in Abstimmung mit den obersten Landesbehörden den Versorgungsbedarf vor Ort und vergibt entsprechende Versorgungsaufträge sektorenunabhängig an geeignete Leistungserbringer, die über regionale kollektive und selektive Verträge eingebunden werden.“
Ziel solle der Aufbau von Versorgungsmodellen sein, die sich am regionalen Bedarf orientieren sollen. Der AOK schweben hier regionale interprofessionelle Gesundheitszentren vor. Diese sollen zum „Dreh- und Angelpunkt interdisziplinärer Vernetzung und Kooperation“ werden. „Sie gewährleisten die Versorgung unter einem Dach, übernehmen die Gesamtkoordination auf allen Versorgungsstufen und sorgen für die richtigen Behandlungspfade“, schreibt die AOK in ihrem Papier.