Tausenden Arztpraxen drohen Umsatzeinbußen.
Brandbrief zur Situation der Niedergelassenen
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- Letzter Beitrag 21 April 2020
Unterschriftenaktion
Brandbrief zur Situation der niedergelassenen Ärzte in der Corona-Krise
Die Behandlung, Wertschätzung und Unterstützung der niedergelassenen Ärzte durch die Politik in der Corona-Krise ist inakzeptabel – dieser Meinung ist HNO-Arzt Dr. Eike Müller. Gemeinsam mit weiteren Kollegen eines Qualitätszirkels vor Ort, hat der Facharzt aus Oberursel in Hessen einen Offenen Brief verfasst – und bittet die Kollegen um Mitzeichnung.
Nach der Situationsbeschreibung werden in dem Brief konkrete Forderungen an die Politik gestellt. Kommen zahlreiche Unterschriften zusammen, will Müller diese zunächst an Kammern und KVen weiterleiten. Unter dem Text finden Sie einen Link zu einer DOODLE-Seite, auf der eine Unterschrift abgegeben werden kann.
Der Brief im Volltext:
Corona-Krise: Brandbrief zur Situation der niedergelassenen Ärzte
Am 27. März 2020 ist das „Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen“ im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2020 Teil I Nr. 14, erschienen. Es hat auch den Beinamen „COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz“, weil offensichtlich die Stützung der Krankenhäuser im Vordergrund steht. „Weitere Einrichtungen“, zu denen auch die Praxen in der Niederlassung gehören, werden nebenbei ohne konkrete Maßnahmen erwähnt. Ihre finanzielle Unterstützung in Zeiten der Coronavirus- Krise wird beschränkt auf Leistungen außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV):
§ 87a SGB-V (3b) Mindert sich das Gesamthonorar eines vertragsärztlichen Leistungserbringers um mehr als 10 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal und ist diese Honorarminderung in einem Fallzahlrückgang in Folge einer Pandemie, Epidemie, Endemie, Naturkatastrophe oder eines anderen Großschadensereignisses begründet, kann die Kassenärztliche Vereinigung eine befristete Ausgleichszahlung an den vertragsärztlichen Leistungserbringer leisten. Die Ausgleichszahlung ist beschränkt auf Leistungen, die gemäß Absatz 3 Satz 5 und 6 außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung vergütet werden.
Krankenhäuser werden für den Ausfall einer Operation mit 560,-€ pro ausgefallenen Behandlungstag bedacht. Pro Patient werden außerdem 50€ für Schutzmaterial zur Verfügung gestellt. Intensivbetten werden mit 50.000€ entlohnt. Hierdurch erklärt sich der Beiname „Krankenhausentlastungsgesetz“.
Ähnliches ist für niedergelassene Vertragsärzte nicht vorgesehen, obwohl sie vom Gesundheitsminister Spahn als „erster Schutzwall im Kampf gegen das Virus“ gelobt werden (https://www.bild.de/media/pdf-69522870/Download/25315182.bild.pdf). Zwar soll die MGV trotz reduzierter Leistungsmenge in regulärem Umfang bereitgestellt werden. Das heißt aber nicht, dass nicht zu einem späteren Zeitpunkt eine Bereinigung und eine leistungsentsprechende Kürzung stattfinden wird. Durch diese fehlende Garantie werden die Niedergelassenen wieder nicht wirklich gestützt. Ausgleichszahlungen werden außerhalb der MGV gewährt, sollten mehr als 10% Verlust entstehen, verbunden mit einer Fallzahlminderung. Die Entscheidung obliegt den KVen und Krankenkassen. Es ist eine “Kann-Maßnahme”, keine Garantie für einen Ausgleich, wie er für Krankenhäuser gilt. Dies lässt den Eindruck von Spielraum, somit Goodwill und Willkür entstehen.
Während Krankenhäuser festgelegte Summen bekommen, werden Ausgleichszahlungen für Niedergelassene, d.h. Spahn´s Schutzwall in der Coronakrise, an nachzuweisende Verluste gebunden. Der Gesamtumsatz aus EGV (Extrabudgetäre Gesamtvergütung) und MGV muss um mindestens 10 % sinken, wie auch die Fallzahl. Nur die EGV wird dann bis zu 90% vergütet, sofern nicht andere Zahlungen stattgefunden haben (Infektionsschutzgesetz). Der Fallzahlrückgang fließt in die Gesamtbeurteilung also nur ein, wird aber finanziell nicht berücksichtigt. Letzteres kann für den Praxisinhaber nur dann nicht von Bedeutung sein, wenn die Abschlagszahlung und die Restzahlungen identisch bleiben und keine Reduktion der Abschlagszahlungen im Folgejahr erfolgt. Trotz Fallzahlrückgang ist der Arbeitsaufwand in den Praxen im Übrigen nicht weniger, sondern in zeitlichem und technischem Aufwand sogar mehr.
Gänzlich ungerechtfertigt ist die vom Gesetzgeber außen vorgelassene Berücksichtigung der Einnahmen aus der PKV, dem Privatversichertenbereich. Der Staat ist nicht nur für Kassenversicherte verantwortlich, sondern für alle seine Staatsbürger! Auch für Privatversicherte. Handelt er anders, handelt er gegen den Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (AGG) im Grundgesetz – umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz genannt. Daher ist die Stützung der niedergelassenen Ärzte allein über Gelder der gesetzlichen Krankenkassen mehr als fragwürdig. Andere Berufe und Leistungserbringer werden auch aus Staatsgeldern gestützt, nicht von der AOK oder anderen Krankenkassen. Demnach ist die Stützung der Leistungserbringer im Gesundheitsbereich aus der Allgemeinheit heraus, also Steuern zu finanzieren, so dass die Praxen für alle Versicherten, gesetzlich wie privat, gleichsam einen hohen Versorgungsstandard halten können. Eine Stützung nur von Kassenversicherten handelt dem Grundgesetz zuwider.
Der Wegfall von Umsätzen aus dem Privatversichertenbereich wird im Gesetz mit nicht einem Wort erwähnt. Der Staat kommt somit seiner Fürsorgepflicht für alle Bürger im Katastrophenfall nicht nach und diskriminiert einen Teil seiner Schutzbefohlenen. Reine Privatpraxen werden dem wirtschaftlichen Tod preisgegeben.
Die auch von Sozialgerichten immer wieder zitierte Mischkalkulation wird im Gesetz nicht respektiert. Trifft sie in wirtschaftlichen Überlegungen zum Überleben von Praxen im Normalfall zu (regelmäßig wird argumentiert, dass die geringere Vergütung im GKV-Bereich durch die PKV- Einnahmen ausgeglichen werden kann), so darf sie jetzt nicht einfach vernachlässigt werden in der Betrachtung der Stützung von Praxen, denn nahezu alle Praxen überleben nur durch Einkommen über Privatversicherte, die in der Corona-Krise ebenfalls wegbrechen. Die Frage nach dem Sinn dieses Vorgehens des Gesetzgebers legt einem die Antwort der Gleichschaltung der Systeme GKV - PKV, d.h. die Abschaffung der PKV, nahe. Dieses politische Ziel hier einzuspielen sollte aber unter Anbetracht der Schwere der Krisensituation und des Gesichtspunktes der Gleichbehandlung fehl am Platze sein.
Im Gesetz werden die Krankenhäuser mit respektablen Abfindungen für ihre Ausfälle bedacht. Niedergelassene Praxen, die in jedem Ablaufplan bzgl. Coronavirusinfektionen und Vorgehen fest eingebunden sind, erfahren diese Zuwendung nicht, obwohl sie „sechs von sieben Coronapatienten“ ambulant behandeln (Ärzteblatt vom 10.04.2020). Kosten, die Praxen aufgrund von verspäteter Koordination, Organisation und Umsetzung von Epidemie-/Pandemieplänen der Gesundheitsämter und der Ministerien entstehen, finden im Gesetz keine Berücksichtigung. Während Krankenhäuser für jeden Patienten 50,- € für Beschaffung von Schutzmaterialien erhalten, gehen Praxen leer aus. Erst seit zwei Wochen werden Praxen mit reduzierter Schutzausrüstung durch die KVen bestückt (einfache chirurgische Masken, FFP2-Masken – nicht einmal sichere FFP3 -, geringe Mengen Desinfektionsmittel; alles zugeteilt; kein Augenschutz, keine Schutzkittel). All diese Dinge haben wir Niedergelassene aus eigenen Mitteln überteuert besorgt und finanziert, damit wir uns von Minister Spahn ein Dank und Lob der ersten Abwehr abholen durften. Berücksichtigt wurde diese Tatsache im Gesetz nicht.
Praxen in der Niederlassung tragen als erste Abwehrlinie im Kampf gegen Corona ein deutlich höheres Risiko als Krankenhäuser, was die Gesundheit der Praxisinhaber wie die des Personals angeht und offensichtlich, wie es das Krankenhausentlastungsgesetz zeigt, auch ein höheres finanzielles Risiko.
Wir erheben daher folgende Forderungen mit verbindlichen Zusagen:
1. Gesetzlich garantierte unveränderte Fortsetzung der Abschlags- und Restzahlungen ohne spätere Reduktion/Bereinigung aufgrund von Fallzahlrückgängen.
2. Gesetzlich garantierte Ausgleichszahlungen für den Rückgang der Einnahmen aus Behandlung Privatversicherter um ein Praxissterben zu verhindern.
3. Bessere finanzielle Unterstützung zur Materialbeschaffung wie Kittel, Masken, Gesichtsschutz etc. wie bei Krankenhäusern und Rückerstattung bereits erfolgter Ausgaben diesbezüglich.
4. Sicherung des Nachschubs von sicheren FFP-3 Masken und weiterem Schutzmaterial
5. Zahlung eines regelmäßigen Risikozuschlages für Arztpraxen.
Nordrheins Kassenärzte-Chef
Coronakrise führt zu Umsatzeinbußen in Tausenden Praxen
Tausenden Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen drohen nach Einschätzung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein wegen der Corona-Krise Umsatzeinbußen. „Ich gehe davon aus, dass fast jede Praxis in Nordrhein unter den Schutzschirm muss und staatliche Hilfen in Anspruch nehmen wird“, sagte der Chef der KV Nordrhein, Frank Bergmann, der „Rheinischen Post“ (Dienstag). Zur KV Nordrhein gehören rund 19.500 Ärzte und Psychotherapeuten. Im Gebiet der KV Nordrhein, das die Regierungsbezirke Köln und Düsseldorf umfasst, gibt es rund 14 500 Praxen.
Viele Praxen hätten mehr als zehn Prozent ihres Umsatzes eingebüßt, sagte Bergmann. Aus Furcht vor Ansteckung verschöben Patienten Vorsorgeuntersuchungen etwa beim Allgemeinmediziner oder Hautarzt oder sagten Termine beim Psychotherapeuten ab. „In der Abrechnung zum zweiten Quartal dürften wir sehen, dass die Corona-Krise tiefe Spuren in der ambulanten Versorgung hinterlässt.“
Das Bundesgesundheitsministerium hatte Ende März einen Schutzschirm für Kliniken und Praxen aufgespannt. Niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten, zu denen derzeit kaum Patienten kommen, sollen bei größeren Umsatzausfällen Ausgleichszahlungen bekommen. Bergmann sagte, er erwarte nun von den regionalen Krankenkassen, dass sie diese Vereinbarungen auch umsetzten.
Niedergelassene Ärzte, die infolge der Coronakrise weniger zu tun hätten, könnten aber auch freiwillig in Krankenhäusern helfen. „Wir führen gemeinsam mit der Ärztekammer Nordrhein ein Register, in das sich auch schon Ärzte eingetragen haben - etwa Lungenfachärzte, die bei der Hotline 11 6 11 7 telefonisch beraten.“
Bergmann hält im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus „aus medizinischer Sicht“ eine Anordnung für eine Maskenpflicht in NRW für sinnvoll. Voraussetzung wäre allerdings, dass der Bevölkerung ausreichend Masken zur Verfügung stünden. Aber „dies ist angesichts der gegenwärtigen Lieferengpässe nicht einmal in den Praxen der Fall“.
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