Wie digital soll das Medizinstudium langfristig sein?
Wie digital soll das Medizinstudium langfristig sein?
Masterplan 2020
Die Corona-Krise hat an manchen Fakultäten das Medizinstudium adhoc digitalisiert. Aber wie digital soll das Medizinstudium langfristig sein? Darüber gehen die Meinungen auseinander.
Bei einer digitalen Dialogveranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung trafen am Mittwochabend die Medizinstudentin Tabea Ganderheit aus Köln und der Präsident der Ärztekammer Hamburg, Dr. Pedram Emami, aufeinander. Sie diskutierten, wie digital das Medizinstudium in Inhalt und Form werden soll und setzen dabei deutlich unterschiedliche Schwerpunkte.
Mehr echte digitale Wissensvermittlung und dafür weniger Präsenzpflichten wünscht sich Tabea Ganderheit. Hochgeladene Powerpoint-Vorträge, wie die Studentin sie während des Shutdowns mehrfach erhalten hat, versteht sie darunter nicht. „Das sind Dinge, die hätte man schon vor zehn Jahren tun können. Das ist nichts Innovatives“, sagt Ganderheit. Doch sie hat auch ein Positivbeispiel erlebt. So sei der Biologie-Kurs für Erstsemester als Online-Kurs gestaltet worden, der unterschiedlich intensive Lernkonzepte für verschiedene Wissensstufen angeboten habe.
„Die Bereitschaft der Lehrenden zu neuen didaktischen Methoden ist sehr unterschiedlich“, berichtet Ganderheit. Die meisten seien jedoch Kliniker, die wenig Zeit hätten, das nächste innovative Lehrkonzept zu entwickeln. Aus ihrer Sicht muss daher die Medizindidaktik ausgebaut werden.
Abgebaut gehören Ganderheits Meinung nach dagegen bestimmte Anwesenheitspflichten. Das sei auch eine Frage der Chancengleichheit, denn diese Regelungen würden vor allem Studierende treffen, die Kinder haben, oder solche, die nebenbei arbeiten müssen.
Doch nicht nur die Lehre muss aus ihrer Sicht digitalisiert werden. Auch das Wissen über Digitalisierung im Gesundheitswesen muss ins Medizinstudium einfließen. Ein neues Fach ist dafür nach Ganderheits Auffassung nicht nötig. „Das ist eher eine Kompetenz als ein fachlicher Inhalt, und deshalb ist es wichtig, dass es über die Fächer hinweg umgesetzt wird“, meint die Medizinstudentin. Beispielsweise könnte es im Fach Medizinethik um die elektronische Patientenakte gehen.
Auch Datenschutz sei ohnehin Thema im Medizinstudium. „Datenschutz ist ein Thema, das Ärztinnen und Ärzte seit Jahrzehnten beschäftigt. Es ist kein Thema, das mit der Digitalisierung aufkommt“, meint Ganderheit. „Die Ärzte sind nicht diejenigen, die entscheiden, ob eine App datenschutzkonform ist. Die Ärzte sind da praktisch Anwender“, sagt sie.
Emami: Der Schutz digitaler Gesundheitsdaten ist auch Sache der Ärzte
„Gerade weil wir Anwender sind, müssen wir uns kritisch damit auseinandersetzen, was es für Konsequenzen hat. Oft ist es ja so, dass ich als Anwender bestimmte Rechte automatisch abtrete“, meint dagegen Dr. Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg. Er fordert, dass Ärzte sich in die Diskussion um digitale Gesundheitsdaten einbringen. Es sei zu klären: „Inwieweit kann man uns missbräuchlich nutzen als ungewollte Datenlieferanten?“
Bedenklich findet er, dass der nichtmedizinische Betrieb immer mehr Zugang zu digitalen Gesundheitsdaten erhält. Wenn Ärzte zweckgebunden mit Gesundheitsdaten von 4000 Patienten umgehen, sei das etwas anderes, als wenn eine unbekannte Firma unbegrenzten Zugriff auf die Daten von Millionen Menschen bekomme.
Mit Blick auf das Medizinstudium plädiert Emami dafür, dass weitere digitale Inhalte einfließen – und zwar zunächst jeweils dort, wo sie in der Praxis auch Einzug halten. „Digitalisierung ist bisher am weitesten entwickelt in der bildgebenden Diagnostik“, meint er. Es sei eine Frage der Zeit, bis man sagen wird: „Wer es ohne macht, der handelt fahrlässig am Patienten.“
Aus seinem Fachgebiet, der Neurochirurgie, berichtet Emami, dass sich ein Navigationsgerät für Operationen inzwischen soweit entwickelt habe, dass es zur OP-Planung eingesetzt werden könne. „Die Zuverlässigkeit auf der technischen Seite ist höher als auf der menschlichen Seite. Da muss sich der Arzt fragen, wie seine Rolle ist“, gibt der Hamburger Kammerchef zu bedenken.
Daher hält Emami es für angebracht, eine Art übergeordnetes Fach zur kritischen Betrachtung der Entwicklungen einzuführen. „Wenn ich Telemedizin in einer Fernsprechstunde anbiete, dann muss mir klar sein, dass die Kommunikation anders funktioniert, als wenn der Patient mir gegenübersitzt“, führt er beispielhaft an.
Ist die Digitalisierung der Lehre im Medizinstudium eine Gratwanderung?
Zwiegespalten zeigt sich Emami mit Blick auf die Digitalisierung der Lehre. Die Bundesärztekammer hatte einen entsprechenden Passus im Entwurf zur Approbationsordnung in ihrer Stellungnahme abgelehnt.
„An manchen Stellen verstehe ich das“, sagt Emami. Die Befürchtung gehe dahin, dass Lehre ins Ausland ausgelagert werden könnte. Andererseits könne man solche Ressourcen auch nutzen, wenn mehr Medizinstudienplätze gebraucht würden. Denkbar ist aus seiner Sicht etwa, dass Fächer wie Radiologie auch als Fernunterricht gelehrt werden. „Den Raum muss man den Leuten lassen, die Technologie für solche Öffnungen zu nutzen.“
Grundsätzlich vertritt Emami die Auffassung: „Die Voraussetzung dafür, dass die Digitalisierung sich auch entfalten und Wirkung zeigen kann, ist ja, dass wir im Zuge der Transformation unsere Prozesse nochmal überdenken und fragen, ob es möglich ist, sie so umzugestalten, dass es einen Mehrwert generiert.“ Eine Vorlesung digital zu übertragen, sei kein Mehrwert. „Die Essenz der Digitalisierung haben wir damit nicht genutzt“, meint er.
Anders sehe es mit Virtual Reality Anwendungen aus. So gebe es etwa ein Tool, mit dem Studenten digital die Lumbalpunktion üben könnten, bevor sie sie am echten Patienten anwenden. Doch das sei noch „etwas Zukunftsmusik“.
Aus Emamis Sicht bietet die Krisensituation die Chance „etwas auszuprobieren, was man sich vorher nicht getraut hätte“. Dabei gelte es jedoch aufzupassen, dass man nicht Errungenschaften wie Patientenrechte und Datenschutz über Bord werfe.