Offener Brief an Minister Jens Spahn: Zeit für Umkehr und Neubesinnung
München, 4. Januar 2019
Sehr geehrter Herr Minister Spahn,
zu Beginn des neuen Jahres wird die Politik von einem Datenleck ungeahnten Ausmaßes erschüttert. Wie Medien berichten, sind tausende von Datensätzen, wie Handynummern und Kreditkarteninformationen, von diversen Politikern sowie weiteren Prominenten offen im Internet verfügbar gemacht worden. Was hier mit den Daten ausgewählter, im Licht der Öffentlichkeit stehender Personen passiert ist, könnte auch mit den intimen Gesundheitsinformationen unserer Patientinnen und Patienten geschehen. Wer auch immer hinter der aktuellen Veröffentlichung steht und welche Ziele er damit verfolgt, ist unklar. Fest steht jedoch, dass dies für die Politik ein Signal sein muss, sich endlich mit dem Thema Datensicherheit und Datenschutz in angemessener Form auseinanderzusetzen.
Wie man es nicht machen sollte, hat Ihre Ministerkollegin Dorothee Bär ja in verstörender Weise vor einigen Tagen in einem Interview in der "WELT" unter Beweis gestellt. Sätze wie "Wir sind insgesamt bei allem zu zögerlich und zu sehr von Ängsten getrieben und gehemmt. Wir haben in Deutschland mit die strengsten Datenschutzgesetze weltweit und die höchsten Anforderungen an den Schutz der Privatsphäre" zeugen angesichts der jüngsten Entwicklungen nicht gerade von einer profunden Sachkenntnis. Und die Unterstellung, dass Ärzte die Digitalisierung ablehnten, weil diese "eine ganz neue Transparenz" bringe, ist im besten Falle als böswillig zu bezeichnen.
Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten stehen Innovationen im Gesundheitswesen aufgeschlossen gegenüber. Weder die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen noch wir in der Selbstverwaltung tätigen Ärzte lehnen Transparenz ab. Dass das Gesundheitswesen insgesamt einem Dschungel an Vorschriften, Verordnungen und Vorgaben gleicht, ist ausschließlich der Regelungswut des Gesetzgebers geschuldet.
Der Maßstab für die niedergelassenen Hausärzte, Fachärzte und Psychotherapeuten ist stets das Wohl der Patienten – und die Basis dafür ist ein vertrauensvolles und offenes Gespräch, das weder durch eine App noch durch sonstige Online-Anwendungen zu ersetzen ist. Unser Gesundheitswesen ist deshalb international so hoch angesehen, weil hier das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und dem behandelnden Arzt beziehungsweise Psychotherapeuten noch intakt ist. Und dies liegt nicht etwa an der elektronischen Gesundheitskarte oder anderen politischen Phantasieprojekten, sondern an der Freiberuflichkeit als Basis der Therapiefreiheit.
Sehr geehrter Herr Minister Spahn, der derzeitige Kurs des Bundesgesundheitsministeriums stellt eine massive Gefahr für die Errungenschaften unseres solidarischen Gesundheitssystems dar. Drohungen mit Honorarabzug bei einer angeblich nicht rechtzeitigen Anbindung an die Telematikinfrastruktur sind ebenso unangemessen wie die geplante gesetzliche Anhebung der Mindestsprechstundenzeit auf 25 Stunden pro Woche.
Wir arbeiten in den Kassenärztlichen Vereinigungen, aber auch in den Kammern sowie den Berufsverbänden mit Hochdruck daran, wieder Nachwuchs für die Tätigkeit als niedergelassener Arzt oder Psychotherapeut zu begeistern. All diese Maßnahmen werden durch die permanenten gesetzgeberischen Eingriffe aus Ihrem Ministerium konterkariert.
Wir erwarten von der Politik endlich, dass sie sich der offensichtlichen Probleme, wie Ärztemangel und Überlastung, annimmt und nicht selbst immer neue Hürden und Hindernisse schafft. Wir erwarten, dass man sich in der Politik ernsthaft mit den Sorgen und Nöten der Ärzteschaft auseinandersetzt und diese nicht als "Furcht vor Transparenz" abtut. Im Jahr 2019 ist es Zeit für einen neuen Umgang zwischen den politisch Verantwortlichen und uns im Gesundheitswesen Tätigen.
Freundliche Grüße
Dr. Krombholz
Vorsitzender des Vorstandes