Feldstudie zu SARS-CoV-2: Bei 15 Prozent in Gangelt Infektion nachgewiesen
Donnerstag, 9. April 2020
/picture alliance, Flashpic
Düsseldorf – In der besonders vom Coronavirus SARS-CoV-2 betroffenen Gemeinde Gangelt in Nordrhein-Westfalen (NRW) wurde in einer Studie bei 15 Prozent der untersuchten Bürger eine Infektion nachgewiesen. Das berichtete der Leiter der Feldstudie im Kreis Heinsberg, Hendrik Streeck, heute in Düsseldorf.
Bei diesen ersten, wissenschaftlich repräsentativen Zwischenergebnissen handele es sich um eine eher konservative Berechnung, betonte der Virologe. Die Forscher hatten in rund 400 Haushalten bei 1.000 Teilnehmern Rachenabstriche auf SARS-CoV-2 analysiert, Blut auf Antikörper getestet und Fragebögen ausgewertet. Die vorliegenden Ergebnisse fußen auf 509 ausgewerteten Ergebnissen.
Demnach hätten rund 15 Prozent der Bürger in der Gemeinde nun auch eine Immunität gegen das Virus ausgebildet, sagte Streeck. Den Forschern zufolge dürfte die Zeit der Immunität bei sechs bis18 Monaten liegen, erklärten sie heute vor Journalisten.
Die Letalität lag in der Studie bezogen auf die Gesamtzahl der Infizierten bei 0,37 Prozent. Die in Deutschland derzeit von der amerikanischen Johns Hopkins University berechnete entsprechende Rate betrage 1,98 Prozent und liege damit um das Fünffache höher, sagte der Virologe.
Die Rate sei in Gangelt fünf Mal niedriger im Vergleich mit den Daten der Johns Hopkins University, weil man sich auf die Gesamtzahl der Infizierten beziehen könne, erläuterte Gunther Hartmann, Professor für Klinische Chemie und Pharmakologie an der Universität Bonn. Die Gesamtzahl der Inifzierten habe bisher in Berechnungen nicht einbezogen werden können. Das seien genaue die Daten, die weltweite gefordert werden, sagte er.
Die Daten, die man habe, würden am Ende dazu führen, dass man Vorausberechnungen in Bezug auf einen möglichen Gesamtverlauf für ganz Deutschland machen könne. Es sei nun Aufgabe von Wissenschaft und Politik es zu erreichen, dass der Letalitätswert durch kluge Maßnahmen minimiert werden könne, bis eine Gesamtimmunität erreicht sei, die „in irgendeiner Form tolerabel“ werde.
Hauptaugenmerk bei einer Öffnung auf Risikogruppen fokussieren
Aus Sicht von Hartmann gibt es zwei Möglichkeiten, mit der derzeitigen Lage umzugehen. Das eine sei eine Impfung. Das würde mindestens ein Jahr dauern – und einen kompletten Shutdown könne man über diese Zeit wirtschaftlich schwer verkraften. Also müsse man sehen, dass die Immunität von anderer Seite komme. Eine Immunisierung der Gesamtbevölkerung sei erreicht, wenn 60 bis 70 Prozent die Erkrankung durchgemacht hätten.
Die Wissenschaftler betonten einhellig, dass es bei einer Lockerung des Shutdowns im Wesentlichen darauf ankommt, Kontaktbeschränkungen, Abstandregeln und Hygieneregeln wie Händewaschen einzuhalten. Martin Exner, Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Universität Bonn, zufolge ist ein Hauptaugenmerk bei einer Öffnung auf Risikogruppen wie alte und chronisch Kranke zu legen.
In bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens könne man unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln die Auflagen zwar „kontrolliert zurückfahren“, sagte der Bonner Wissenschaftler. Aber in Alten- und Pflegeheimen müsse weiterhin eine „restriktive Politik“ aufrechterhalten werden.
Es sei „nicht auszuschließen, dass eine längere Zeit der Abstinenz zu den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen aufrechterhalten werden muss“, sagte er. Das Tragen eines Mundschutzes sei in Altenheimen ganz besonders wichtig. Daher seien besonders in diesem Bereich Investitionen in Schutzmaterial notwendig.
Hygienemaßnahmen trainieren
Exner betonte auch, das Virus könne über einen langen Zeitraum auf Flächen überleben. Um eine Infektion auszulösen, müsse das Virus aber in die Schleimhäute etwa über Mund oder Augen gelangen. Daher sei es wichtig, dass die Bevölkerung lerne, mit den Risiken angemessen umzugehen.
Gründliches Waschen der Hände mit Seife löse die Viren gut ab und könne sie „inaktivieren“, sagte der Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit. Es klinge banal, sei aber wichtig, solche Hygiene-Maßnahmen zu trainieren. Hauptsächlich werde das Virus aber durch Tröpfcheninfektion übertragen – etwa durch Husten. Deshalb sei das Tragen von Mundschutz in Krankenhäusern unerlässlich.
Auch Hartmann, berichtete, nach ersten vorsichtigen Einschätzungen sei davon auszugehen, dass der Schweregrad der Erkrankung über Hygienemaßnahmen reduziert werden könnte. „Die Zahl der Erreger hat bei Erstinfektionen Einfluss auf den Schweregrad der Erkrankung.“
Laschet für behutsame Öffnungen nach Ostern
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat sich dafür ausgesprochen, das öffentliche Leben nach Ostern behutsam in eine „verantwortbare Normalität“ zurückzuführen. Die Rückkehr in die Normalität werde er kommende Woche nach Ostern auch mit den Ministerpräsidenten der Länder und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erörtern, sagte er. Die Lockerung der Corona-Auflagen werde „behutsam“ und „nicht mit einem Schlag“ gehen. „Aber dass wir nach Ostern diesen Versuch wagen sollten, davon bin ich überzeugt.“
Für die Studie wurde die Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg untersucht, da er als Epizentrum der Coronavirus-Pandemie gilt. Die Region hat damit bereits Entwicklungen durchgemacht, die in anderen Orten noch bevorstehen können. Zudem flacht im Kreis die Kurve der Infektionszahlen bereits ab.
RKI: Keine Entwarnung
Das Robert Koch-Institut (RKI) erklärte heute, die Zahl der pro Tag neu übermittelten Fälle bewege sich noch immer auf hohem Niveau. Sie habe heute mit rund 5.000 Fällen wieder höher gelegen als gestern und vorgestern mit je etwa 4.000 Fällen. Der Anteil der verstorbenen Infizierten in Deutschland sei erwartungsgemäß weiter gestiegen: auf nun 1,9 Prozent, sagte Wieler.
Er gab zu bedenken, dass die nun registrierten Todesfälle Menschen seien, die vor ein bis zwei Wochen erkrankten. Hintergrund seien Ausbrüche in Pflegeheimen sowie eine generelle Zunahme von Infektionen bei älteren Menschen. Viele Patienten würden im Krankenhaus behandelt, es sei mit weiteren Todesfällen zu rechnen, so der RKI-Chef.
In Deutschland sind nach Angaben der Johns Hopkins University rund 2.350 Menschen an COVID-19 gestorben. 46.300 haben die Erkrankung überstanden. Mehr als 113.000 sind mit SARS-CoV-2 infiziert. © may/dpa/aerzteblatt.de