Ist die Patientenverfügung für uns ein Geschäftsfeld?

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  • Letzter Beitrag 23 Februar 2018
Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Februar 2018

Am Ärztestammtisch wurde heftig diskutiert über das "lästige" Patiententestament. Der überwiegende Tenor lautetet "Viel Arbeit und viel zu wenig Honorar".

Was sagt unser Medizirechtler dazu?

Prof. Dr. Edgar Weiler schrieb 23 Februar 2018

 


Die fortschreitende Medizin, vor allem die Intensivmedizin, hat die Grenzen von Leben und Tod verschieben können, oft genug zum Wohl und zur Gesundung schwer kranker Menschen. Doch bei den Niedergelassenen und den Klinikern herrscht naturgemäß Unsicherheit über die rechtlichen Konsequenzen, auch angesichts der vielen Begriffe wie


 Aktive Sterbehilfe

  • Passive Sterbehilfe

  • Indirekte Sterbehilfe

  • Behandlungsabbruch usw.


 Mehr und mehr Patientinnen und Patienten konfrontieren ihren Arzt / Ärztin heute mit dem Wunsch nach Erstellung einer Patientenverfügung, die letztlich die schriftformmäßige Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner späteren Einwilligungsunfähigkeit darstellt und sozusagen in „guten Zeiten“ den Patientenwillen (Selbstbestimmungsrecht!) zur Beachtung „in schlechten Zeiten“ niederlegt, dadurch dass er in Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie eben untersagt.


 


Patientenverfügungen werden oft aus Formularbüchern entnommen, die nicht immer auf dem neuesten Stand sind (vergleiche nur den Beschluss des Bundesgerichtshofs zur Patientenverfügung vom 18.07.2016, wo eine ganz detaillierte Aufzählung der gewünschten bzw. nicht gewünschten Maßnahmen vorgeschrieben wurde). Dennoch sollte, so meine ich, eine Patientenverfügung eher nicht mit dem Rechtsanwalt, sondern gerade mit dem behandelnden Hausarzt / Hausärztin bzw. Facharzt / Fachärztin besprochen und ausgefüllt werden, denn Grundlage ist selbstverständlich das bestehende Vertrauen zwischen Patient und Arzt, gerne kann der Patient dabei auch einen Angehörigen / Angehörige mitbringen, um die Entscheidungsoptionen für künftige Entwicklungen umfassend zu besprechen.


 


Es spricht auch nichts dagegen, dass der ärztliche Kollege / die ärztliche Kollegin die Initiative insoweit übernimmt und den Patienten auf die Möglichkeit der Erstellung einer Patientenverfügung, auch unter Zurverfügungstellung von – natürlich korrekten – Formularen hinweist. Wesentliche Bedeutung kommt dann den ärztlichen Beratungs- und Aufklärungsgespräch zu. Der Arzt kann über Missverständnisse, z.B. betreffend die sogenannte Apparatemedizin, aufklären, kann Fehleinschätzungen hinsichtlich der Art und statistischen Verteilung von Krankheitsverläufen korrigieren, die persönlichen Erfahrungen und das persönliche Umfeld des Patienten sowie das Krankheitsbild im Einzelfall einbringen und natürlich dem Patienten auch sicherlich vorhandene Ängste nehmen oder reduzieren. So erzeugt der Dialog zwischen Patienten und Arzt, viel mehr als z.B. der Dialog zwischen Patient und Rechtsanwalt, ein differenziertes Bild vom Willen des Patienten und ermöglicht auch, Name und Kontaktdaten des beratenden Arztes / Ärztin auch in der Patientenverfügung selbst festzuhalten. Die Verfügung sollte einfach lesbar und verständlich sein und alle in Frage kommenden Fallgestaltungen eindeutig formulieren (gerne gebe ich dazu in Bälde einige Tipps hier auf diesem Blog). Letztlich wird es um zwei bis drei Termine zur Beratung gehen, was natürlich auch honoriert werden muss. Unter Umständen ist in dem einen oder anderen Fall auch ein befreundeter Jurist noch mithinzuziehen (falls der Patient eine Rechtsschutzversicherung besitzt, deckt diese diese Hinzuziehung ab).


 


Für Arzt / Ärztin ist natürlich wichtig, dass er/ sie sein / ihr Honorar erstattet bekommt.  Die  Abrechnungsmöglichkeiten differieren nach Bundesländern. In manchen Bundesländern (generell IGEL-Leistungen) ist Grundlage für die Abrechnung im GKV-Fall die GOÄ, und zwar entweder die Beratung nach Nr. 3 GOÄ (mehr als zehn Minuten) oder analog Nr. 34 GOÄ (mehr als zwanzig Minuten), die Rechnung erfolgt nach Leistungserbringung. Untersuchungen nach den Nummern 5,6,7,8,800 und 801 GOÄ sind daneben berechnungsfähig. Für die Bestätigung der Einwilligungsfähigkeit kann man in vielen Bundesländern nach Nr. 70 GOÄ abrechnen. Es aber wird dringend empfohlen, sich bei Ihrer Ärztekammer oder Ihrer Bezirksärztekammer diesbezüglich zu informieren.


 


Besonderheit: In Rheinhessen, wo dieses Portal angesiedelt ist, existiert sogar ein „Modellprojekt Patientenverfügung“. Bitte informieren Sie sich, falls noch nicht geschehen, hierzu direkt bei Ihrer Bezirksärztekammer Rheinessen.


 


In diesem Modellprojekt den Patienten sogar ein Ausweis erteilt (den gibt es sonst selten), dabei ist die Vergütungsregelung anders geregelt als in anderen Kammern. Sie lautet:

 


2,3-facher Satz

 


 Für das erste ärztliche Beratungsgespräch:

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    Ziffer A 860                                                                                                                                                                                                    

                                                                                                                         123,34€                                                                                                                                                                                                 

    Erhebung einer biografischen Anamnese mit einer Bedingungs- und Funktionsanalyse des bisherigen Krankheitsgeschehens mit schriftlicher Aufzeichnung. Diese muss den gegenwärtigen, lebensgeschichtlichen und gesellschaftlichen Faktoren in ihrer Bedeutung für das Krankheitsgeschehen gerecht werden und die seelischen und körperlichen Symptome als Ausdruck des Krankheitsgeschehens eines ganzheitlich gesehenen Menschen wahrnehmen und in der Beratung berücksichtigen.

     

    Ziffer A 849                                                                                                                             

                                                                                                                                30,83€                                                                                                              

    Verbale Intervention im Rahmen der umfassenden Beratung, in der der Arzt alle ursächlichen Beteiligungen des Patienten an seinem persönlichen Krankheitsgeschehen feststellt oder aufgrund seiner ärztlichen Erfahrung diese zuordnen kann. Dies umfasst eine Einsichtsvermittlung in die pathogenen  Zusammenhänge der persönlichen Krankheitsgeschichte. Die verbale Intervention orientiert sich dabei an der jeweils aktuellen und zukünftigen Krankheitssituation.

     

    Gesamt:                                                                                                                                  154,17 €

     

  • Für das zweite ärztliche Beratungsgespräch

    mit Erstellung, Ausdruck, Aushändigung der gegengezeichneten Patientenverfügung nebst deren Archivierung und der Ausgabe des Patientenausweises der Bezirksärztekammer Rheinhessen:

     

    Ziffer A 849                                                                                                                             30,83 €                                                                                                              

    Inhalt wie zuvor beschrieben.

     

    Ziffer A 5                                                                                                                                 10,72 €

    Untersuchung und Feststellung der für die Erstellung der Patientenverfügung geforderten notwendigen Einsichtsfähigkeit und freien Willensbildung.

     

    Ziffer A 80                                                                                                                               40,23 €

    Erstellung und Ausfüllung der Patientenverfügung, Aushändigung des Exemplares für den Patienten sowie der Archivierung des Arztexemplares.

     

    Gesamt:                                                                                                                                   81,78 €


 


Gesamtkosten der Patientenverfügung                                                                          235,95 €


 Der für die Erstellung der Patientenverfügung notwendige Zeitrahmen wird in der Regel 2 mal 45 Minuten in Anspruch nehmen und zusammen mit der Erstellung der Patientenverfügung und Aushändigung des Patientenverfügungsausweises mit den zuvor genannten Analogziffern zu der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abgerechnet.

 


Zu beachten ist, dass bei außergewöhnlich hohem Zeitaufwand (mindestens 50 Minuten) ggf. die Analog-Ziffer A 861 statt A 849 in Ansatz gebracht werden kann, die mit einem Betrag von bis zu 92,51 € zum Ansatz kommen würde.

 


 

Angesichts des Umstandes, dass nach Schätzungen beispielsweise des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIAV) ein Drittel (!) der deutschen Patientinnen und Patienten eine solche Patientenverfügung nachfragen werden bzw. bereits nachfragen, während die Verteilung der Patientenverfügungen lediglich 15 % (von 100 %) im laufenden Jahr ausmacht, und bei der Durchschnittsberatung, wie vorgestellt, etwa 250 € bis 300 € herauskommen, liegt auf der Hand, dass es naheliegt, bei einem entsprechenden Patientenanteil, der für eine Patientenverfügung in Betracht kommt, sich auch um diese Igelleistung für Kassenpatienten (und oft genug von privaten Kassen ohne weiteres als GOÄ bezahlte ärztliche Tätigkeit) zu kümmern und sich mit ihr näher zu befassen.


 

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