Muss eine Leichenschau zukünftig 40 Minuten dauern?
Lesen Sie den Beitrag dazu von dem Kollegen Gerd Zimmermann
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Kommentar zur neuen GOÄ-Ziffern für die Leichenschau
Dr. med Gerd W. Zimmermann
Seit 1965 bzw. 1982 wartet die Ärzteschaft nicht nur auf eine neue Privat-Gebührenordnung für Lebende, sondern auch eine für die Toten! Jetzt soll es plötzlich ganz schnell gehen. Was man sich bei der Leichenschau aber ausgedacht hat, führt zur potentiellen „Kriminalisierung“ der Leichenschauer!
Nach einem Entwurf zur Verordnung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), vorgelegt vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) am 12. April 2019 soll die Leichenschau schon ab dem 1. Januar 2020 besser bewertet werden. Die vorläufige Leichenschau ist dann mit 110,51 Euro, die endgültige Leichenschau mit 165,77 Euro vergütet. Ein Problem stellen die neu in die Legenden integrierten Zeitvorgaben in den beiden Leistungskomplexen dar. Bei der Leichenschau kommt es bekanntlich aber – wie bei jeder Untersuchungsleistung – nicht auf die (zeitliche) Quantität der Leistung, sondern deren Qualität an. So gesehen ist es durchaus möglich, eine qualifizierte Leichenschau durchzuführen, ohne dass es zu den in der Legende vorgegebenen Zeiten kommt. In der vorgesehenen Novellierung muss man aber den Toten bei der vorläufigen Leichenschau nach Nr. 100 GOÄ 20 Minuten und bei der „endgültigen“ Leichenschau nach Nr. 101 GOÄ sogar 45 Minuten untersuchen. Da es sich in beiden Fällen um eine Komplexleistung handelt, die neben der eigentlichen Leichenschau weitere zeitintensive Elemente einschließt, entsteht eine Sachlage, die den in der Praxis denkbaren Fallkonstellationen nicht gerecht wird.
Zeitvorgaben „kriminalisieren“ die Leichenschau!
Die Tatsache, dass im Leistungskomplex ggf. das Aufsuchen der Leiche enthalten ist, führt bereits zu einer realitätsfremden Schieflage. In ländlichen Regionen kann das Aufsuchen wegen der weiten Entfernung z.B. eine halbe Stunde oder mehr dauern. Zusammen mit der Rückfahrt führt allein dieser Bestandteil des Leistungskomplexes zu einer Abwesenheit des Arztes von mindestens 60 Minuten. Im städtischen Bereich kann es je nach Verkehrslage zu einer ähnlich hohen zeitlichen Abwesenheit kommen. Zusätzlich zu diesem zeitlichen Bedarf des Aufsuchens entsteht in der Regel neben der eigentlichen Leichenschau ein weiterer Zeitaufwand von etwa 15 Minuten für das Ausfüllen des (recht kompliziert gestalteten) Leichenschauscheines nebst Anlagen. Nicht selten kommt ein erheblicher zeitlicher Aufwand für die Betreuung der Angehörigen hinzu.
So gesehen ist es möglich und nach einschlägiger Erfahrung sogar wahrscheinlich, dass durch die gewählte Leistungsbeschreibung der neu gestalteten Nrn. 100 bzw. 101 GOÄ die Situation entsteht, dass der mit der Leichenschau beauftragte Arzt durch An- und Abfahrt, Ausfüllen des Leichenschauscheines und Betreuung der Angehörigen eine Stunde oder mehr die Praxis verlassen muss, da die Leichenschau selbst aber nur 15 oder 30 Minuten angedauert hat, keinerlei Leistung abrechnen kann. Die „Kriminalisierung“, die bisher wegen der fraglichen Berechnungsfähigkeit des Besuches im Rahmen der Leichenschau besteht und die eigentlich durch die Neuregelung abgeschafft werden sollte, erfährt so eher eine neue Dimension!
Nach einem Vorschlag des Hausärzteverbandes sollten deshalb die Zeitvorgaben in der Legende gestrichen oder alternativ der Legendtext von „Dauer mindestens …“ auf „Abwesenheit mindestens ..“ geändert werden.
Weiterer Einschluss des Besuchs in den Komplex sorgt unnötig für juristisch unsichere Sachlage!
Die Integration des mit einer Leichenschau in der Regel verbundenen Besuches in den Leistungskomplex der Nrn. 100 bzw. 101 GOÄ kann völlig realitätsfremden Fallkonstellationen entstehen lassen. Allein schon die Legendenpassage, dass ein Aufsuchen nur „ggf.“ Bestandteil der Leistung ist, führt zu denkbaren Schieflagen. Würde z.B. eine Leichenschau ohne ein solches Aufsuchen durchgeführt, weil sich der Arzt zufällig am Ort des Geschehens (z.B. im Rahmen einer Visite im Pflegeheim) aufhält, könnte die Leistung vollinhaltlich berechnet werden. Der betreffende Arzt würde dann das gleiche Honorar für die Leichenschau erhalten wie ein Arzt, der – wie oben beschrieben – zunächst einen (erheblich zeitintensiven) Anmarschweg zurücklegen musste. Auch die Situation, dass ein Arzt zu einer Leichenschau gerufen wird, die Leiche bei Eintreffen aber nicht mehr vorhanden ist, führt durch die Integration des Besuchs in den Leistungskomplex zu einer unnötigen Problemsituation. Der betreffende Arzt könnte in einem solchen Fall seine trotzdem zeitlich erhebliche Abwesenheit nicht in Rechnung stellen.
Auch hier liegt der Bundesärztekammer (BÄK) und dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) ein Änderungsvorschlag des Dtsch. Hausärzteverbandes vor. Es soll eine eigenständige Abrechnungsposition (z.B. Nr. 103 GOÄ) unter angemessener Bereinigung der Legende und der Bewertung der Nrn. 100/101 GOÄ mit dem Hinweis, dass zusätzlich Wegegebühren und Unzeitzuschläge berechnet werden können, eingeführt und von der Untersuchungsleistung getrennt werden.
Letzte Meldung:
In einer gestrigen Sitzung konnten die betroffenen Berufsverbände diese Probleme in der Bundesärztekammer vortragen. Abhilfe wurde zugesagt. Schau`n wir mal, was dabei herauskommt!