Die jetzt nicht in die Notfallambulanz kommen, das waren alles Herzinfarkte und Schlaganfälle?
Leere Notaufnahmen in der Corona-Pandemie
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- Letzter Beitrag 19 April 2020
Krankenhäuser: Wenn die Notaufnahme zu leer ist
Tom Kattwinkel
Weniger Menschen suchen die Notaufnahme auf, aus Angst vor Infektionen. Darunter auch Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten. Das kann für Patienten gefährlich werden.
Es ist Donnerstagvormittag. Zwei Rettungswagen parken vor der Notaufnahme am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel. Die Warteräume im Inneren sind leer, die meisten der 30 Betten der Aufnahmestation ebenfalls. An Tagen vor der Pandemie war dies die Ausnahme, wenn überhaupt, die trügerische Ruhe vor dem Sturm.
Neben den echten medizinischen Notfällen kamen viele Patienten mit Bagatellverletzungen.
Das Ergebnis: überfüllte Notaufnahmen und lange Wartezeiten. Normalerweise sind zu wenig Patienten in der Notaufnahme also das letzte, worüber Mediziner sich Sorgen machen müssten. Das tun sie trotzdem. Denn die leeren Betten kommen auch daher, dass Menschen mit schweren Erkrankungen wie einem Herzinfarkt oder Schlaganfall nicht oder erst spät kommen.
Aus einer öffentlichen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neurologie geht hervor, dass europaweit ein deutlicher Rückgang von stationär behandelten Schlaganfällen festzustellen sei. Die deutsche Gesellschaft für Kardiologie beschreibt Ähnliches für Patienten in Deutschland mit akuten Herzbeschwerden, insbesondere lebensbedrohlichen Herzinfarkten oder Herzklappenerkrankungen. Ein Bericht aus Pavia in der Lombardei gibt einen dortigen Rückgang von im Krankenhaus aufgenommenen Herzinfarktpatienten von 50 bis 70 Prozent an.
Domagoj Schunk leitet die Notaufnahme in Kiel, dort beobachtet er einen hohen Rückgang an ambulanten Fällen, also solcher, die nach einer Behandlung nicht im Krankenhaus bleiben mussten. Das heißt: Viele Menschen, die nicht unbedingt auf notfallmedizinische Hilfe angewiesen sind, greifen offenbar auf den ambulanten Sektor, beispielsweise ihren Hausarzt, zurück oder bleiben zu Hause. Eigentlich ist das gut. So könne man denen noch effektiver und effizienter helfen, die schwer krank sind, erklärt Schunk. Aber auch diese Personen scheinen, nicht mehr zuverlässig zu kommen, was wiederum ist fatal.
Johannes Konrad Meyne, Oberarzt für Neurologie am UKSH Kiel, schätzt den Rückgang von Patienten mit Symptomen eines Schlaganfalls gar auf etwa 30 bis 40 Prozent.
Dabei gibt es keine plausible Erklärung dafür, warum tatsächlich so viel weniger Fälle außerhalb des Gesundheitssystems vorliegen sollten als sonst. Wenn überhaupt, wäre Gegenteiliges zu erwarten. Studien zeigen, dass das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, unmittelbar nach einer Infektion der Atemwege erhöht ist. Covid-19 ist eine Viruserkrankung, die in der Regel die Atemwege befällt.
Die Angst vor der Infektion
Eine andere Ursache für die Diskrepanz ist naheliegender: Angst vor möglichen Infektionen mit dem Virus im Krankenhaus. Schunk erzählt von Beispielen aus dem UKSH Kiel: Erkrankte blieben länger mit Symptomen zu Hause, in der Notaufnahme erzählten sie dann von ihrer Angst vor der Infektion. Diese alarmierende Beobachtung teilen Ärzte aus Hong Kong. In einer Untersuchung, die allerdings nicht repräsentativ ist, zeigten sie, dass Patienten mit Herzinfarkt nach Symptombeginn länger zu Hause verblieben als vor dem Ausbruch der Pandemie.
Schunk entgegnet: "Die Angst der Patienten vor einer Infektion ist nachvollziehbar, aber das Risiko einer Infektion im Krankenhaus ist eben nicht viel höher als in der Normalbevölkerung." Was er damit meint: Ja, im Krankenhaus könne man sich anstecken, aber das Risiko sei seines Erachtens nicht höher als im Alltag zurzeit, wo es auch im öffentlichen Leben immer eine Ansteckgefahr gibt. In der Klinik würden Patienten unmittelbar separiert, sobald ein Verdacht besteht, für sie gibt es gesonderte Behandlungszimmer sowie eine gesonderte Aufnahmestation. So soll das Risiko minimiert werden.
Das Zögern von Patienten kann gefährliche Konsequenzen haben, denn: Erkrankungen wie ein Schlaganfall oder Herzinfarkt sind zeitkritisch und müssen unmittelbar in einer Klinik behandelt werden. Je früher der Patient in einer Klinik behandelt werden kann, desto höher die Überlebensrate und desto geringer die Wahrscheinlichkeit für teils schwere, bleibende Schäden.
"Gerade beim Schlaganfall können die Symptome für den Laien auf den ersten Blick nicht schwerwiegend erscheinen, da sie schmerzlos sind, zum Beispiel plötzlich auftretende Doppelbilder oder, wenn wegen einer Koordinationsstörung das Zugreifen schwerfällt", sagt Meyne, der in Kiel die Schlaganfallstation leitet. Andere mögliche Symptome seien plötzlich auftretende Sprachstörungen, Lähmungen des Gesichts, Lähmungen der Arme oder Beine, einseitige Gefühlsstörungen, Verwirrtheit, plötzlich eintretende Gangstörungen, Sehstörungen, plötzliche Blindheit auf einem Auge oder auch ein akuter heftigster Kopfschmerz, so der Neurologe weiter.
So schnell wie möglich ins Krankenhaus
Die Symptome können einzeln oder gemeinsam auftreten. Generell gilt der Leitsatz: Time is brain, je früher eine mögliche ärztliche Therapie, desto wahrscheinlicher ist diese erfolgreich und minimiert Folgeschäden.
Auch Symptome eines Herzinfarkts können vielschichtig sein. Typisch sind starke, plötzlich einsetzende Schmerzen im Brustkorb, die auf Regionen wie die Arme oder den Oberbauch ausstrahlen können. Hinzu kommt oft ein starkes Enge- oder Druckgefühl in der Brustregion, Betroffene beschreiben dies, als ob ein Elefant auf ihrem Brustkorb stünde. Anzeichen sind aber auch Übelkeit, Erbrechen, Atemnot, Angstschweiß oder ein Brennen hinter dem Brustbein. Analog zum Schlaganfall gilt hier: Time is muscle. Also je früher reagiert wird, desto größer die Chance, Herzmuskelgewebe zu retten und wiederum Folgeschäden zu minimieren.
Bei Verdacht auf einen Schlaganfall oder Herzinfarkt gilt deshalb jetzt wie auch sonst, sofort den Notruf unter der Nummer 112 zu alarmieren.
Gleichzeitig gilt natürlich, dass der Komfort einer Notaufnahme nicht ausgenutzt werden sollte. Es gilt generell zu reflektieren, ob das Leiden wirklich ein Notfall ist oder doch der Gang zum Hausarzt genügt. Dieser ist die erste Anlaufstelle für nicht lebensbedrohliche Erkrankungen. Sollte dieser nicht zu erreichen sein, können Betroffene sich rund um die Uhr an den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116117 wenden.
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