Linke-Abgeordnete Gabelmann für Änderungen im Gesundheitssystem

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  • Letzter Beitrag 07 Juni 2020
Dr. Günter Gerhardt schrieb 07 Juni 2020

Die Apothekerin und Linke-Bundestagsabgeordnete Sylvia Gabelmann - Sprecherin der Linken für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte- nimmt Stellung zu Themen wie Arzneimittel-Lieferengpässe, Corona-Pandemie, Fallpauschalen-System im Krankenhaus, Pflegenotstand, Einschränkungen der Grundrechte, Impfpflicht...

Dr. Günter Gerhardt schrieb 07 Juni 2020

Interview mit Apothekerin

„Es muss ein Umdenken in unserer Gesundheitsversorgung stattfinden“

Arzneimittel-Lieferengpässe sind schon seit Jahren ein Problem, haben sich während der Corona-Pandemie aber noch einmal verstärkt. Der änd hat die Apothekerin und Linke-Bundestagsabgeordnete Sylvia Gabelmann gefragt, was sich langfristig ändern muss – und wie sie die Krisenbewältigung der Bundesregierung einschätzt.

Sylvia Gabelmann glaubt, dass das Gesundheitssystem grundlegend verändert werden muss.
© Deutscher Bundestag

Frau Gabelmann, Sie sind Sprecherin der Linken für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte – und Apothekerin. Viele Medikamente, die in Deutschland benötigt werden, werden in Asien produziert. Durch die Corona-Krise hat sich einmal mehr gezeigt, welche Probleme die Arzneimittelproduktion außerhalb Europas mit sich bringen kann: Die ohnehin schon bestehenden Lieferengpässe haben sich weiter verschärft. Gesundheitsminister Jens Spahn setzt nun auf finanzielle Anreize, um die Produktion wieder nach Europa zu holen. Reicht das Ihrer Meinung nach aus?

 

Das Vorhaben, die Produktion von Medikamenten und deren Grundstoffen wieder vermehrt nach Europa zurückzuholen, ist nur ein Baustein für die Bekämpfung von Lieferengpässen, aber er reicht alleine nicht aus.

 

Was wären Maßnahme, die bei Lieferengpässen greifen würden?

Die Linke hat in einem Antrag eine ganze Reihe konkreter Vorschläge gemacht.

 

Die Hersteller müssen zusätzlich stärker in die Pflicht genommen werden. Dazu gehören eine verpflichtende Meldung bereits im Vorfeld von Lieferengpässen, eine Vorratshaltung der Hersteller für essenzielle Medikamente, verbunden mit Sanktionen und Bußgelder bei Verstößen bis hin zu Zwangslizenzen. Auch die exklusiven Rabattverträge einzelner Krankenkassen für bestimmte Medikamente gehören abgeschafft, da sie zu Lieferproblemen führen können.

Die gesetzliche Förderung des Parallel- und Reimports von Arzneimitteln muss umgehend beendet werden, da sie in einigen EU-Ländern mit niedrigeren Arzneimittelpreisen eine Ursache für Lieferprobleme darstellt. Nur dank des Engagements von Bundeswirtschaftsminister Altmaier, in dessen Wahlkreis der größte Reimporteuer Kohlpharma seinen Sitz hat, hat die Reimportquote überhaupt noch Bestand.

Politiker und Wissenschaftler hierzulande betonen immer wieder, dass Deutschland die Corona-Pandemie bislang gut bewältigt hat. Teilen Sie aus Ihrem speziellen Blickwinkel diese Auffassung?

 

Ich kann nur sagen: Ich bin sehr froh, dass die Zahlen für Infizierte und Todesfälle im Rahmen der Pandemie hierzulande bislang relativ niedrig geblieben sind. Das führe ich auf ein konsequentes Reagieren im März zurück.

 

Allerdings hätte die Vorbereitung auf eine Pandemie dieses Ausmaßes deutlich besser und die Reaktion schneller sein können. Entsprechende Szenarien waren der Bundesregierung ja seit etlichen Jahren bekannt. Der inakzeptable Mangel an Schutzausrüstungen und die nicht ausreichenden Testkapazitäten wären vermeidbar gewesen.

 

Warum, glauben Sie, war das deutsche Gesundheitssystem bislang nicht überfordert?

 

Zum Glück haben wir in Deutschland keine Zustände wie in Bergamo, Madrid oder New York erlebt. Aber der Öffentliche Gesundheitsdienst ist vielerorts heillos überfordert, Test-Kapazitäten waren lange zu wenig verfügbar und Schutzausrüstung fehlt und fehlte hinten und vorne.

 

Zudem steuert die Krankenhausfinanzierung durch das Fallpauschalen-System in eine falsche Richtung: Die betriebswirtschaftliche Ausrichtung und der permanente Kostendruck führen dazu, dass eine Bevorratung von Kapazitäten für Ausnahme- und Krisensituationen nicht – oder zumindest nicht ausreichend – stattfindet.

 

Auch der Pflegenotstand ist seit vielen Jahren hausgemacht durch politische und gesellschaftliche Fehlentscheidungen. Personalmangel sowie Unterbesetzung bei gleichzeitiger Arbeitsverdichtung werden jetzt besonders deutlich. Klatschen vom Balkon reicht nicht da nicht – wir brauchen mehr Personal, bessere Bezahlung und eine Arbeitszeitverkürzung.

 

Die Krise zeigt, dass ein grundsätzliches Umdenken in unserer Gesundheitsversorgung stattfinden muss. Denn all diese Missstände sind fatale Folgen der Ausrichtung unseres Gesundheits- und Pflegesystems auf Wettbewerb und Profit.

 

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch in der Krisenbewältigung Fehler gemacht wurden, selbst die Bundesregierung gibt das zu. Was ist ihrer Meinung nach besonders schief gelaufen?

 

Es wäre sehr hilfreich gewesen, wenn Bundesregierung und Länder die Pandemiepläne - die ja existieren, aber in den Schubladen verstaubten - ernster genommen hätten. Nicht nur, dass der Mangel an Ausrüstung hätte vermieden werden können, sondern auch die Eingriffe in die Grundrechte hätten gezielter stattfinden können und wären besser zu kommunizieren und für die Gesellschaft nachvollziehbarer gewesen.

Die Linke kritisiert, dass die Bundesregierung und vor allem das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen der berechtigten Angst vor Corona zu viel Macht an sich gezogen hat: Für vieles, was auch in einem geregelten parlamentarischen Verfahren hätte beschlossen werden können, hat sich die Bundesregierung selbstermächtigt, bestimmte Entscheidungen per Verordnung am Parlament vorbei zu beschließen. Das lehnen wir ab. Zudem müssen solche Einschnitte unbedingt nur befristet Geltung behalten. Manche der getroffenen Einschränkungen der Grundrechte sind grundsätzlich nicht nachvollziehbar. So ist das zunächst an vielen Orten ausgesprochene generelle Verbot von Demonstrationen für mich sehr bedenklich.

 

Auch mit den Hilfen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen bin ich nicht zufrieden. Es gibt viele Milliarden Euro Unterstützung für Industrie und Konzerne, deren Aktionäre sich dennoch üppig an der Dividende bedienen. Aber für viele ohnehin schon sozial Benachteiligte, für Familien, Alleinerziehende und kleine und mittlere Betriebe wurde und wird zu wenig getan.

 

Hat Ihnen Ihre medizinische Expertise dabei geholfen, die Lage besser einzuschätzen als beispielsweise Ausschusskollegen mit nicht-medizinischen Berufen?

 

Ich bin weder Virologin, Mikrobiologin noch Epidemiologin. Insofern bin ich bei vielen Beurteilungen und Abwägungen auch darauf angewiesen, was die Experten und Expertinnen äußern. Meine pharmazeutische Ausbildung hilft mir aber auf jeden Fall, die Diskussion um Impfstoffe und Medikamente besser zu verstehen.

 

Die Bundesregierung hat viele gesetzliche Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung beschlossen. Im Bundestag gab es wegen der starken Einschränkungen für Bürger dazu teils emotionale Debatten. Wie haben Sie die Diskussionen erlebt?

 

Sehr emotionale Debatten erleben wir im Bundestag immer wieder. Ich habe jetzt bei den Debatten und Diskussionen im Vergleich zum Beispiel zur Debatte zur Flüchtlingspolitik oder die Masernimpfpflicht keinen wesentlichen Unterschied in der Emotion erlebt.

 

Sehen Sie Patientenrechte durch die Gesetzespakete zurecht beschnitten?

 

Die Einführung eines Immunitätsausweises oder einer anderen Art von „Corona-Pass“ wäre sehr eingreifend. Das würde die Gesellschaft spalten: Die einen dürften überall hin, ohne Mundschutz und ohne Abstand, sie bräuchten nur mit ihrem Ausweis herumwinken, während für andere gegebenenfalls noch stärkere Beschränkungen gelten müssten. Das lehnen wir massiv ab.

 

Auch wenn Jens Spahn diesen Plan zunächst wieder zurückgezogen hat, ist er leider nicht gänzlich vom Tisch. In der EU erwägen einige Tourismus-Minister, nur mithilfe solcher Corona-Pässe die Freizügigkeit beim Reisen wiederherzustellen.

 

Welche Lehren lassen sich aus der Krisensituation Ihrer Ansicht nach bislang ziehen?

 

Anlässlich der Corona-Pandemie ist die Verwundbarkeit der Arzneimittelversorgung in Deutschland noch einmal besonders sichtbar geworden: Der großen Abhängigkeit von internationalen Lieferketten – mit oftmals nur sehr wenigen Produktionsstandorten in Fernost, insbesondere in China und Indien – und der daraus resultierenden Gefahr von Lieferengpässen muss dringend gegengesteuert werden.

 

Es darf zudem nicht hingenommen werden, dass einzelne Länder versuchen, bei der Corona-Impfstoff-Entwicklung exklusiv bedacht zu werden - wie bei der geplanten Übernahme der Tübinger Firma CureVac durch die USA oder bei den Verträgen der USA mit Sanofi. Die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln sowie von Impfstoffen ist profitorientierten Aktienkonzernen zu entziehen und in eine politische Verantwortung zu übertragen, damit sie allen Menschen und nicht primär den Aktionären zugutekommt.

 

Auch in anderen Bereichen des Gesundheitssystems brauchen wir grundlegende Veränderungen: Wir müssen den Pflegeberuf schnell wieder attraktiv machen, durch höhere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitverkürzung. Und bei den Krankenhäusern muss die Fehlentwicklung mit Privatisierungen, Wettbewerb und Profitlogik durch Fallpauschalen beendet werden. Diese Ausrichtung des Gesundheits- und Pflegesystems auf Wettbewerb und Profit gehört abgeschafft, um das Gesundheitssystem insgesamt am tatsächlichen Bedarf der Menschen auszurichten.

Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde schriftlich geführt.

07.06.2020 12:42:51, Autor: Interview: Mareke Heyken

 

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