IG Med: "Wer sich jetzt nicht wehrt, lebt und behandelt bald verkehrt!"
IG Med: "Wer sich jetzt nicht wehrt, lebt und behandelt bald verkehrt!"
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Letzter Beitrag 09 Januar 2019
Admin
Dr. Günter Gerhardt
schrieb
24 Juni 2018
- Zuletzt bearbeitet 09 Januar 2019
IG Med schreibt an Spahn
"Systemversagen im Gesundheitswesen"
Die neu gegründete Organisation IG Med hat sich erstmals direkt in einem Offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gewandt – und ein dringendes Gespräch über die Situation der Ärzteschaft gefordert. „Sie erleben derzeit, dass viele unserer Kollegen die innere Kündigung in diesem System bereits abgegeben haben und auch durch den massiven Druck, der durch immer neue gesetzgeberische Maßnahmen aufgebaut wird, nicht mehr zu noch mehr Arbeit zu bewegen sein werden“, so die Warnung der IG Med.
Weder Terminservicestellen, noch eine Zwangsverpflichtung für obligate Sprechstundenzeiten würden dafür sorgen, dass Ärzte dieses System unter Vernachlässigung ihrer eigenen Gesundheit noch aufrechterhalten könnten und wollten. Leider müsse in diesem Zusammenhang das Wort „Systemversagen“ in den Raum gestellt werden, „denn die kassenärztlichen Vereinigungen können unter den derzeit herrschenden Bedingungen die Sicherstellung nicht mehr gewährleisten“, heißt es weiter.
Nachdem das Boot der IG Med im vergangenen Jahr zu Wasser gelassen wurde, soll es nun schnell an Fahrt aufnehmen: Die Organisation plant im neuen Jahr diverse Aktionen und Initiativen. Der änd sprach mit der Vorsitzenden Dr. Ilka Enger über die Pläne und die derzeitige Gesundheitspolitik.
Frau Dr. Enger, nach dem Jahreswechsel zunächst noch ein kurzer Blick in den Rückspiegel: Die IG Med ist nun offiziell gegründet und arbeitet an diversen Projekten. War der Start anstrengender als gedacht? Was hat gut funktioniert, wo gab es unerwartete Probleme?
Wir hätten uns schon gewünscht, dass wir den Elan aus Frankfurt gleich mit richtig „PS“ auf die Straße bringen können – aber dann hat uns die deutsche Bürokratie doch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Unsere Satzung musste noch einmal in drei Punkten nachgebessert werden. Das hat uns viel Zeit gekostet, so dass wir am 5.12.2019 endlich dann mit dem Segen des Vereinsregisters als eingetragener Verein an den Start gehen konnten. Das unterscheidet uns jetzt also von der Bundesärztekammer als nicht rechtsfähigem Verein.
Im gerade angebrochenen Jahr 2019 werden offenbar diverse gesundheitspolitische Weichen gestellt. TSVG, Telematik oder Notfall-Organisation – da kommt einiges auf die Ärzte zu. In welchen Bereichen wird sich die IG Med engagieren? Welche Ziele setzen Sie sich?
In unserer Satzung sind drei Ziele genannt. 1. Ein leistungsgerechtes Honorar, 2. Gute Rahmenbedingungen für unsere freiberufliche Arbeit ohne überbordende Bürokratie und zu guter Letzt sind wir der Ansicht, dass das SGB V auf den Prüfstand muss, weil es Ärzte und nichtärztliche Heilberufler zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Zwei-Klassen-Medizin besteht nicht in der Behandlung, sondern bei denen, die ärztliche und therapeutische Arbeit erbringen.
Deshalb ist es auch klar, dass wir uns gegen die Spahn-Gesetze stellen werden, die noch weitaus tiefere Einschnitte in unser derzeitiges System vorsehen und unsere Freiheiten – so man sie noch so nennen will – noch weiter beschneiden.
Das Faszinierende an der heutigen Situation ist ja, dass wir Ärzte und Heilberufler gar nicht viel tun müssen, besser gesagt gar nichts, um Herrn Spahns Gesetze zum Scheitern zu bringen. Die derzeit verantwortlichen Gesundheitspolitiker erkennen anscheinend gar nicht, wie prekär ihre Lage ist. 30 Prozent der Ärzte sind in einem Alter, wo sie einfach den Griffel bei Seite legen könnten. Wenn man die so provoziert, wie das derzeit die Politik tut, dann kann das ganz schön böse enden. Und statt, dass man die anderen pfleglich behandelt, meint man, sie mit Tritten, Schlägen und Pöbeleien antreiben zu können. Manchmal bleibt aber so ein misshandelter Esel einfach stehen. Es ist ziviler Ungehorsam angesagt und dazu werden wir die nötigen Maßnahmen ergreifen.
Kurz vor Weihnachten kamen aus den Reihen der SPD und des GKV-Spitzenverbandes Bemerkungen in Richtung Ärzteschaft, die – vorsichtig formuliert – eine sehr geringe Wertschätzung der ärztlichen Tätigkeit erkennen ließen. Wie sollten die Niedergelassenen darauf antworten?
Sie meinen vermutlich die „Golfplatz-Allegorie“ des Abgeordneten Lauterbach. Nun ich habe den Vormittag des Heiligen Abends auf dem Lauterbachschen Mediziner-Golfressort verbracht. Sprich, ich hatte einen ziemlichen Hammer-Dienst, während der Herr Abgeordnete vermutlich einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt geschlürft oder die letzten Einkäufe getätigt hat. Und mit mir zusammen haben sicher viele hundert andere Mediziner in Deutschland auch die Stellung gehalten an den Feiertagen, fern von der Familie, damit wir die Wehwehchen, aber auch richtig schwere Erkrankungen der Bürger versorgen konnten.
Wir werden einen Lauterbach-Golfplatz-Blog anbieten, auf dem unsere Kollegen in Zukunft ihre Dienstbelastung posten können. Das dürfte ja auch für die Medien ganz interessant sein, was passieren könnte, wenn die Ärzte keine Lust mehr auf „Golfplatzdienst“ haben. Unsere Politiker spielen da mit ihren Äußerungen zunehmend mit dem Feuer.
In Sachen TSVG hat die IG Med ja bereits eine Resolution gestartet. Inzwischen hat sie schon über 10.000 Unterstützer. Ein Erfolg aus Ihrer Sicht?
Ja, die Unterschriften unter unserem offenen Brief an Gesundheitsminister Spahn werden kontinuierlich mehr – und das, obwohl diese Aktion bis jetzt kein breites Medienecho gefunden hat wie bei den Hebammen, der Pflege oder den Physiotherapeuten. Am 2. Januar haben wir dann die Marke von 10.000 Unterschriften übersprungen. Was mich daran freut, ist die Tatsache, dass es nicht nur Ärzte sind, die unterschreiben, sondern auch viele Patienten, die der Ansicht sind, dass ihre Ärzte genug arbeiten und die auch den aufgeblasenen Terminservice für eine populistische Luftnummer des Ministers halten. Und sehr vielen ist auch die Zwangsanbindung an die Telematikinfrastruktur nicht geheuer.
Am 23. Januar soll es diverse Protestveranstaltungen gegen das Spahn-Gesetz geben. Wird sich die IG Med an diesem Tag auch aktiv zeigen? Planen Sie etwas?
Wir finden, dass der Aufruf zu einem bundesweiten Protesttag genau zum richtigen Zeitpunkt kommt und werden auch unsererseits alles dafür tun, dass er ein breites Echo bei unseren Kollegen findet. Es gibt da meines Erachtens keine Ausrede für die Kollegen. Jeder kann zu diesem Protest beitragen – egal, ob er einen Saal bestellt für Vorträge, wie das die Berufsverbände tun können, einen Stammtisch seiner umliegenden Zuweiser und Kollegen organisiert oder nur einen Kaffeeklatsch mit seinen interessierten Patienten. Da muss jetzt der berühmte Ruck durch die Heilberufler gehen.
Wir von der IG med wollen unsere Kollegen mit gelben Westen ausstatten, die sie in der Woche vor dem Protesttag in der Praxis und am Protesttag tragen, um damit die notwendige Außenwirkung zu entfalten. Die wird man in unserem Shop zum Selbstkostenpreis bestellen können – das bereiten wir gerade vor.
Auf der Internetseite der IG Med können Ärzte das „Qualitätssiegel telematikfreie Praxis“ bestellen. Was hat es damit auf sich?
Ein Kollege hat die Telematik-Infrastruktur sehr treffend beschrieben: Sie geben jemand wildfremden ihren Generalschlüssel für die Praxis. Sie wissen nicht, wann er kommt, sie wissen nicht, welche Patientenakten er anschaut. Sie wissen nicht, was er an Daten mitnimmt. Aber Sie übernehmen für jede gestohlene Akte und jeden Eingriff in ihre Praxisstruktur die volle Verantwortung. Jens Spahn setzt damit den Fuß in unsere Praxistür setzen und zwängt sich in unsere Terminplanung. Er hält den Kassen die Tür auf, damit sie ihre Patienten nonstop fast mit Bewegungsprofilen überwachen können. Unsere Patienten haben ein Recht darauf, dass ihre Daten bei uns sicher sind, auch weil sie eben dezentral verteilt und nicht auf einer Kassenserverfarm liegen. Die Telematikfreie Praxis ist dabei so etwas wie ein Markenzeichen – und wie wir erfreut hören, finden das auch viele Patienten sehr interessant und unterstützenswert.
Was ist Ihr berufspolitisches Motto für das Jahr 2019?
Dasselbe wie im letzten Jahr: „Wer sich jetzt nicht wehrt, lebt und behandelt bald verkehrt.“
Es ist fast schon 5 nach zwölf, um unsere freien medizinischen Beruf noch vor der Geldgier der Gesundheitskonzerne oder auch der Machtgier und Übergriffigkeit der Ministerialbürokratie zu retten. Und wir wissen die Patienten inzwischen zunehmend an unserer Seite, denn die wiederum sehen zunehmend, wie sie von Krankenkassen drangsaliert, mit immer weniger Leistung behandelt und von der Politik um ihre medizinische Versorgung gebracht werden. Die spüren doch, dass es immer schlechter wird, obwohl ihnen die Politik das Blaue vom Himmel verspricht.
Und genau dagegen werden wir im Jahr 2019 zum zivilen Ungehorsam aufrufen.