Berufspolitik
Hoppenthaller empfiehlt Hausärzten den KV-Ausstieg
Der Bayerische Hausärzteverband forciert mit einem Aufruf an seine Mitglieder die geplante Ausstiegskampagne.
Veröffentlicht: 05.11.2010, 12:19 Uhr
BHÄV-Chef Dr. Wolfgang Hoppenthaller: Korruptes Zwangssystem der Kassenärztlichen Vereinigung.
© dpa
MÜNCHEN (sto). Der Bayerische Hausärzteverband (BHÄV) wird seinen Mitgliedern empfehlen, "aus dem korrupten Zwangssystem der Kassenärztlichen Vereinigung auszuscheiden".
Das hat BHÄV-Vorsitzender Dr. Wolfgang Hoppenthaller in einem Offenen Brief an Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer angekündigt. Dieses Schreiben hat der BHÄV am Freitag bayernweit als Zeitungsanzeige veröffentlicht.
Seehofer sei es nicht gelungen, sein Versprechen einzuhalten und die hausärztliche Versorgung zu schützen, begründet Hoppenthaller die Ankündigung unter Hinweis auf die gesetzlichen Änderungen, die zum 1. Januar 2011 in Kraft treten sollen und durch die der Paragraf 73b de facto wieder abgeschafft werde.
Die Bestandsgarantie bis Mitte 2014 für bestehende Hausarztverträge sei nur eine "Beruhigungspille, um die Hausärzte Bayerns ruhig zu stellen", so Hoppenthaller.
Zugleich hat der BHÄV mehrere regionale Veranstaltungen angekündigt, bei denen bayernweit der Systemausstieg diskutiert werden soll. Den Anfang macht eine Veranstaltung am 10. November in der Stadthalle Bayreuth, den Abschluss bildet eine Veranstaltung am 13. Januar in Fürth.
Am 26. Januar soll dann bei einer Großveranstaltung in Nürnberg per Abstimmung über den Ausstieg entschieden werden.
Nach dem Ausscheiden aus dem KV-System werde der BHÄV "auf der Basis der jetzt noch gültigen Verträge" mit den Kassen freie Vollversorgungsverträge abschließen, kündigte Hoppenthaller in seinem Schreiben an Seehofer an.
Erst die hausärztliche Tarifhoheit auf Dauer und die Vertragspartnerschaft mit den Kassen auf Augenhöhe stelle für Hausärzte und für den hausärztlichen Nachwuchs eine Zukunftsperspektive dar.
Berufspolitik
Bayerischer Hausärzteverband droht mit "Systemumstieg"
Der Bayerische Hausärzteverband bereitet sich auf eine neue Kraftprobe vor: Wird Paragraf 73b geändert, soll Ende Januar in einer Versammlung in Nürnberg über den Ausstieg aus dem GKV-System abgestimmt werden.
Von Jürgen StoschekVeröffentlicht: 26.10.2010, 14:54 Uhr
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Ende Januar plant der Hausärzteverband eine Veranstaltung, bei der der Ausstieg ad hoc entschieden werden soll.
© Figge / imago
MÜNCHEN. Für den Fall, dass der Paragraf 73b zur hausarztzentrierten Versorgung geändert wird, will der Bayerische Hausärzteverband (BHÄV) den Hausärzten im Freistaat den "Systemumstieg" empfehlen. Die Entscheidung über einen Austritt aus dem KV-System soll dann am 26. Januar 2011 in Nürnberg fallen.
Das hat die Landesdelegiertenversammlung des BHÄV in Manching mit 99 zu elf Stimmen beschlossen. Die Beschlüsse der Delegiertenversammlung und deren Begründung seien inzwischen dem Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und Gesundheitsminister Markus Söder mitgeteilt worden, hieß es.
Sollte der 73b "entsprechend den Plänen der FDP und des Bundesgesundheitsministers Rösler" im GKV-Finanzierungsgesetz geändert werden, will der BHÄV seine Mitglieder Anfang Dezember ausführlich über die Rechtssituation und über das weitere Vorgehen informieren.
Für neue Hausarztverträge will die Koalition den Fallwert de facto auf KV-Niveau begrenzen. Bei der geplanten Vollversammlung Ende Januar in der Nürnberger Arena sollen sogenannte "Vertragsarztverzichtserklärungen", die mit einem Strichcode versehen sind, noch während der Versammlung eingescannt werden.
Die Veranstaltung sei keine Korbveranstaltung wie vor drei Jahren, betonte der BHÄV. Vielmehr werde an diesem Tag die Entscheidung fallen, ob die Hausärzte aus dem Kollektivvertragssystem aussteigen werden. Der Stand der Abstimmung werde auf eine Großleinwand übertragen werden.
Sollte es nach einer Entscheidung für den Systemumstieg zu "Auseinandersetzungen mit den Kassen" kommen, will der BHÄV den Hausärzten in Bayern mehrwöchige oder unbefristete Praxisschließungen vorschlagen, beschloss die Delegiertenversammlung.
Zugleich forderten sie zur Teilnahme an der KV-Wahl auf. Um zu verhindern, dass die KV Bayerns weiter Politik gegen den Hausärzteverband mache, dürfe dem Verband keine Stimme verloren gehen, hieß es.
Berufspolitik
Ausstieg scheitert, Hoppenthaller geht
Nach dem gescheiterten Systemausstieg der bayerischen Hausärzte und dem Rücktritt von Hausärzteverbandschef Hoppenthaller müssen die Weichen für die Hausarztversorgung in Bayern neu gestelllt werden.
Von Jürgen Stoschek und Christoph FuhrVeröffentlicht: 27.12.2010, 13:35 Uhr
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Rieseninteresse, begeistert gefeierte Redner - und doch war am Ende die Frustration vieler Hausärzte in der Nürnberg Arena groß.
© Wolfgang Geyer
MÜNCHEN. Politiker und Vertreter der Krankenkassen haben den Rücktritt von Bayerns Hausärzteverbandschef Dr. Wolfgang Hoppenthaller begrüßt. Nach dem gescheiterten Versuch des Hausärzteverbands, am vergangenen Mittwoch in Nürnberg aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung auszusteigen, hatte Hoppenthaller das Handtuch geworfen. Das selbstgesteckte Ziel, mit mindestens 3815 ausstiegswilligen Kollegen die Kassen unter Druck zu setzen, war deutlich verfehlt worden.
In seiner Rücktrittserklärung teilte Hoppenthaller mit, die Verzichtserklärungen, die von 2801 Hausärzten vorliegen, würden "umgehend" vernichtet. Hoppenthaller erklärte zu seinem Rücktritt, er sei weiterhin der Meinung, dass der Hausärzteschaft in Bayern nur noch die Systemdiskussion bleibe, nachdem der Gesetzgeber ihr das Tarifrecht entzogen habe.
Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) begrüßte Hoppenthallers Rückzug. Er hatte den Verbandschef bereits unmittelbar nach dem gescheiterten Ausstieg zu diesem Schritt aufgefordert. "Wir wollen die Selbstverwaltung der Ärzte reformieren", kündigte Söder an. Darin sei er sich mit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) einig.
Bayerns AOK-Chef Fritz Schösser sagte, die Idee der hausarztzentrierten Versorgung habe durch die "gesundheitspolitische Geisterfahrt" des Bayerischen Hausärzteverbandes nicht gelitten, es werde auch künftig Hausarztverträge geben". "Dabei müssen jedoch Patienteninteressen Vorrang vor verbandspolitischem Kalkül haben", so Schösser
Die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern bezeichnete den Ausgang der Vollversammlung als Sieg der Vernunft. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam der stellvertretende Vorstandschef des GKV-Spitzenverbands Johann-Magnus von Stackelberg.
Auch der Präsident des Bundesversicherungsamtes Maximilian Gaßner begrüßte die Entscheidung und forderte zugleich die Änderung der Zulassungsbestimmungen. Danach sollte in Zukunft eine Zulassung nur durch den Arzt selbst oder einen individuellen Vertreter zurückgegeben werden können ,aber nicht durch einen "kollektivbeauftragten Verbandsvertreter".
Der Bayerische Facharztverband hingegen wertete den gescheiterten Ausstieg der Hausärzte als "einen mutigen Versuch, dem man unbedingten Respekt zollen muss".
Berufspolitik
Hausärzte zwischen Euphorie und grenzenloser Enttäuschung
Die Welt scheint in Ordnung, als Dr. Wolfgang Hoppenthaller am vergangenen Mittwochnachmittag unter dem Jubel von mehr als 6000 Hausärzten in die Nürnberg Arena einmarschiert. Systemumstieg jetzt - das ist die Botschaft. Am Ende kommt alles ganz anders.
Von Christoph FuhrVeröffentlicht: 27.12.2010, 14:47 Uhr
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Mit der Tröte im Einsatz: Die Stimmung in der Halle ist gut, doch der Schein trügt.
© Wolfgang Geyer
Die Regie spielt Marius Müller-Westernhagens Ohrwurm "Freiheit ist das einzige, was zählt" ein, Wolfgang Hoppenthaller, Chef des Bayerischen Hausärzteverbandes (BHÄV) wird am Mittwoch in der Nürnberg Arena mit stehenden Ovationen empfangen.
Seine Rede ist kämpferisch, seine Vorwürfe sind harsch: "Dieses System hat mit einer rechtsstaatlichen Ordnung nicht mehr das geringste zu tun", sagt er, "das ist Zwangsbewirtschaftung durch die Kassen und Politik, das ist Machtmissbrauch eines Kastensystems aus Politik und Großkapital".
Der Optimismus in der Halle ist spürbar. 60 Prozent der Ärzte müssen hier und heute ihre Ausstiegserklärung aus dem Kassensystem abgeben. Wenn der ohrenbetäubende Lärm und die begeisterte Zustimmung in der Arena der Maßstab sind, dann, so glauben auch viele Beobachter, müsste das eigentlich funktionieren.
Kämpferische Parolen - aber nicht alle Hausärzte sind überzeugt vom Ausstiegskonzept.
© Wolfgang Geyer
Patientenvertreterin Renate Hartwig geht ans Rednerpult. Sie fackelt nicht lange und fordert die Ärzte auf, sofort mit ihrer Ausstiegserklärung zu den Urnen zu gehen: "Einwerfen!, ruft sie, "ich sage: Einwerfen!"
Viel Applaus für Werner Baumgärtner
Eberhard Mehl überbringt als Hauptgeschäftsführer die Grüße des Deutschen Hausärzteverbands, Medi-Chef Dr. Werner Baumgärtner lässt nicht den geringsten Zweifel an der Solidarität der Kollegen aus Baden-Württemberg, und auch er erntet donnernden Applaus .
Wie viele Ärzte sind nach knapp zwei Stunden ausgestiegen? Die mit Barcode versehenen Erklärungen werden eingescannt, die Ergebnisse an eine Großbildleinwand projiziert. Und dann zeigt sich: Es könnte eng werden. Lediglich 1638 Ärzte haben nach 120 Minuten schriftlich ihren Ausstieg erklärt. Das entspricht etwa einem Anteil von 23 Prozent. Zu wenig, um am Ende erfolgreich zu sein.
Hoppenthaller geht ein zweites Mal ans Rednerpult. "Der Jubel allein nutzt mir nichts", sagt er fast beschwörend, "liebe Kollegen, erklären Sie jetzt die Abgabe der Kassenzulassung, sonst haben Sie verloren."
Nur Mut! Werner Baumgärtner (r.) und Wolfgang Hoppenthaller diskutieren den Verlauf der Abstimmung.
© Wolfgang Geyer
Die Versammlung ist an einem Punkt angelangt, an dem alle Analysen gemacht, die Widersprüche des Systems bis ins letzte Detail konkretisiert, die Handlungsoptionen und Ziele der Ärzte nach einem möglichen Ausstieg differenziert erläutert worden sind - mehr Transparenz geht nicht. Spätestens jetzt wäre eigentlich der Zeitpunkt gekommen, an dem sich auch all die Ärzte zu den Abgabe-Urnen begeben müssten, die bisher ihren Ausstieg formal noch nicht vollzogen haben.
Ärzte von der Basis geben noch einmal persönliche Statements ab. "Worauf wartet ihr noch", fragt einer, der seine Erklärung schon in die Urne geworfen hat. "Fürs Zögern und Zaudern gibt es keinen Grund!"Ärzten, die nicht mitmachen wollen, wird Mut gemacht. Niemand gehe ein Risiko ein, heißt es. Werde die Teilnahmegrenze von 60 Prozent nicht überschritten, dann würden die Dokumente mit den Name der Aussteiger vernichtet. Über 60 Prozent Teilnahmequote aber bedeute: die geballte Macht der Ausgestiegenen sei groß genug, "wer will es wagen, dann noch zu sanktionieren?"
Die Zeit läuft davon, Hoppenthaller und der BHÄV-Landesvorstand beschließen, die Ausstiegs-Frist bis zum 18. Februar zu verlängern, den Korb also noch einmal aufzumachen. Einige Hausärzte reagieren irritiert. In den Regionen soll für das Projekt getrommelt werden, eine aus der Not geborene Idee, die bereits einen Tag später wieder vom Tisch sein wird.
Das Korbmodell hat am Ende keine Chance
Riesenleinwand, Transparenz total - wie viele Hausärzte sind in den Regionen bisher ausgestiegen?
© Wolfgang Geyer
Lediglich 2751 der etwa 7000 organisierten Hausärzte haben am Ende für den Ausstieg gestimmt, das sind knapp 40 Prozent. Hoppenthallers leidenschaftliche Appelle haben nicht gefruchtet: "Ich habe Angst, die Angst vor dem Unbekannten könnte Sie lähmen und mutlos machen", hat er in seiner Rede gesagt. Jetzt sieht er sich in dieser Sorge bestätigt. Einen Tag später tritt der Verbandschef von allen Ämtern zurück.
Am Ende bleibt bei manchen Aussteigern Verbitterung. Der Bezirksvorsitzende des BHÄV Schwaben Dr. Jakob Berger etwa äußert in der "Augsburger Allgemeinen" Wut über Kollegen, die zwar fünf Hot Dogs in Nürnberg gegessen und sich schön unterhalten hätten, aber nicht bereit gewesen seien, den Weg "in die Freiheit ohne Gängelung und überbordende Bürokratie zu gehen".
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nach genauer Analyse der nun eingetretenen politischen Situation trete ich von allen politischen Ämtern zurück.
Ich bin weiterhin der Meinung, dass der Hausärzteschaft Bayerns nur noch die Systemdiskussion blieb, nachdem ihr entgegen den Zusagen der Bayerischen Staatsregierung vom Gesetzgeber wieder ihr Tarifrecht entzogen wurde, die AOK Bayern schon während der Diskussion zu dieser Gesetzesänderung angekündigt hatte, den Hausarztvertrag massiv zu boykottieren und das Ende des Vertrages für das Jahr 2011 angekündigt hatte.
Nach der Ablehnung unseres Vertragsverlängerungsangebotes seitens der AOK Bayern, in dem wir unser Honorar sogar um 10 Prozent reduziert hatten, wurde die endgültige Entscheidung getroffen, diese Abstimmung herbeizuführen.
Die heftigen Drohungen seitens der Kassen und der Bayerischen Staatsregierung hat viele Kollegen davon abgehalten, diesen entscheidenden Schritt aus dem Kollektivvertragssystem heraus mitzugehen. Dass sich jedoch nahezu jeder zweite bayerische Hausarzt zu diesem Schritt entschlossen hat, sollte die Kassen und die Politik bezüglich der Situation der hausärztlichen Versorgung in Bayern nachdenklich machen.
Um künftigen Verhandlungen mit der Bayerischen Staatsregierung und mit den Krankenkassen nicht im Wege zu stehen, habe ich mich dazu entschlossen, alle politischen Ämter niederzulegen.
Gleichzeitig haben ich und meine Vorstandskollegen aufgrund der aktuellen Entwicklung entschieden, den Korb zu schließen.
Ich danke den 2801 Kolleginnen und Kollegen, die ihre Verzichtserklärung abgegeben hatten, für ihren Mut und ihre Courage. Ihre Verzichtserklärungen werden umgehend vernichtet.
Mit den besten Wünschen für Ihre Zukunft!
Ihr Wolfgang Hoppenthaller