Gassen: „Nicht auf Hilfe der Politik setzen, sondern eigene Kräfte nutzen!“
Vertreterversammlung 2.3.2018 – Das Grundproblem der ambulanten Versorgung bleibt im Koalitionsvertrag ausgeklammert: die Budgetierung. Stattdessen sollen Ärzte sich vorschreiben lassen, wann und wie sie zu arbeiten haben. „Ein unzumutbarer Eingriff“, findet der KBV-Chef.
Berlin, 2. März 2018 – Auf der heutigen Vertreterversammlung seiner Organisation hat der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, erneut die Budgetierung im ambulanten Bereich angeprangert.
Er kritisierte scharf, dass führende Gesundheitspolitiker im Zuge der Koalitionsverhandlungen behauptet hätten, schwer kranke Kassenpatienten würden nicht ordentlich behandelt. „Solche Äußerungen sind ein Schlag ins Gesicht aller, die sich nach bestem Wissen und Gewissen im Gesundheitswesen engagieren!“, betonte Gassen.
Tatsächlich die Versorgung gefährden würden diejenigen, die durch die Budgetierung Gelder für Behandlungen vorenthielten: „Gelder, von denen die Versicherten natürlich erwarten, dass sie in die Versorgung fließen. Wenn ich im Restaurant esse, bezahle ich am Ende auch die komplette Zeche – nur im Gesundheitswesen ist das nicht so. Hier prellen die gesetzlichen Krankenkassen die Zeche regelhaft“, stellte der KBV-Chef fest.
Der erste und wichtigste Schritt sei, die ärztlichen Grundleistungen aus der Quotierung herauszunehmen. „375 Milliarden sind die jährlichen Ausgaben im Gesundheitssystem. 28 Milliarden beträgt das aktuelle Finanzpolster der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit nur 450 Millionen pro Jahr könnten die Grundleistungen ausbudgetiert werden. Worauf warten wir noch?“, fragte Gassen.
Den Koalitionsvertrag werde er nicht kommentieren, bis die avisierte Große Koalition tatsächlich stehe, so der KBV-Vorstandsvorsitzende. Dies gelte mit einer Ausnahme: „Die Ausweitung der Mindestsprechstundenzeit von 20 auf 25 Stunden ist ein unzumutbarer Eingriff in die Arbeitszeitgestaltung und Praxisführung von uns Freiberuflern.
Und es ist lächerlich, bei 10 bis 20 Prozent der Leistungen, die der Budgetierung unterliegen, zu fordern, dass die Ärzte noch mehr Leistungen anbieten sollen“, betonte Gassen. Bei schon jetzt im Schnitt 52 Stunden Wochenarbeitszeit pro Vertragsarzt stelle sich außerdem die Frage, wo die zusätzlichen fünf Stunden herzunehmen seien, wenn sie nicht on top kommen sollten:
„Was sollen wir denn in Zukunft dafür nicht mehr machen? Haus- und Heimbesuche? Koloskopie? Ambulantes Operieren? Will die Politik uns als Freiberuflern wirklich vorschreiben, wie wir die 52 Stunden gewichten?“
Gassens Fazit aus den langwierigen Koalitionsverhandlungen lautete: „Die Debatte hat – was die Gesundheitspolitik betrifft – wieder einmal gezeigt, dass komplexen Sachverhalten vermeintlich einfache Lösungen übergestülpt werden.
Für uns als KV-System ziehe ich den Schluss: Warten wir nicht darauf, dass die Politik uns hilft! Wir machen unsere Arbeit und besinnen uns am besten auf unsere eigenen Kräfte.“ Neben dem Ziel der Entbudgetierung nannte er weitere Handlungsfelder, auf die sich KBV und Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) jetzt konzentrieren müssten. Dazu gehören die Versorgung von Notfällen im Bereitschaftsdienst, die intersektorale Versorgung, die Digitalisierung sowie die Reform des Laborwesens.
Bei Letzterem sei man einen ersten entscheidenden Schritt bereits gegangen, indem man sich innerärztlich geeinigt habe, Laborleistungen nicht mehr getrennt nach Versorgungsbereichen zu betrachten. Die nächste Stufe bestehe darin, die Mengenbegrenzung als Richtschnur abzulösen durch Qualitätskriterien, skizzierte Gassen:
„Wenn wir uns auf eine indikationsgerechte Laborbeauftragung einigen, wird es dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr so leicht möglich sein, eine Aufhebung der Budgets für diese Leistungen zu verweigern. Leistungen, die durch den medizinischen Fortschritt eine ungeheure Dynamik erfahren, in einer gedeckelten Gesamtvergütung zu verorten, ist schon recht dreist.“