WPF MJ WS 2018/2019

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Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Oktober 2018

Am 16.10.18 findet unser 1. Seminar MJ statt:

Wann führen wir unsere Interviews?

Lust auf einen Besuch bei der Gesundheitsministerin von RLP?

Lust auf einen Besuch beim ZDF? 

Wann Umtrunk abends um 19 Uhr? Ort Retro in Gonsenheim

s. angefügter Artikel "500 € im Monat für angehende Landärzte." Landarztquote: Eure Meinung?

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Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Oktober 2018

Zwischenruf aus Berlin: DER BRUCH. Nach der Demütigung durch Donald Trump muss Europa endlich souverän werden. Voraussetzung ist, dass sich Angela Merkel noch mal zu etwas aufrafft.

Eure Meinung dazu? Was ist das Typische einer Kolumne?

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Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Oktober 2018

Wäre die AfD eines unserer Semester-Themen, also eine Diskussion darüber, warum es diese Partei geschafft hat und weiterhin schafft in den Bundestag und die Landtage mit satten Prozentzahlen einzuziehen?

s.u. der Artikel "Wie viel Hitler steckt in AfD Chef Gauland?"

Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Oktober 2018

Der Rechtspopulist bediente sich in einem Artikel ähnlichen Denkmuster wie Adolf Hitler. Historiker Magnus Brechtken ordnet die Debatte im Interview ein.

Ein Gastbeitrag von AfD-Chef Alexander Gauland in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) sorgte in den letzten Tagen für heftige Kontroversen. Nach Ansicht von Historikern wie Wolfgang Benz und Michael Wolffsohn argumentiert Gauland wie Adolf Hitler in einer Rede von 1933. In dem FAZ-Text prangert Gauland die «globalistische Klasse» an, «die kulturell und politisch den Takt vorgibt». Ihre Mitglieder fühlten sich als Weltbürger in einer «abgehobenen Parallelgesellschaft». Die Bindung dieser «neuen Elite» an ihr Heimatland sei schwach. Ihnen gegenüber stünden «diejenigen, für die Heimat noch immer ein Wert an sich ist und die als Erste ihre Heimat verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das die Einwanderer strömen».

AfD-Sprecher Christian Lüth, der vermutlich den Gauland-Text verfasst hat, dementierte jegliche Anleihen aus der Hitler-Rede. Der Artikel basiere auf einem in der liberalen Berliner Zeitung «Tagesspiegel» erschienenen Essay von 2016, der sich seinerseits auf den bekannten liberalen Soziologen Ralf Dahrendorf bezieht. In all diesen Texten geht es um Eliten- und Globalisierungskritik.

Zur Einordnung der Gauland-Debatte hat unsere Zeitung mit dem Historiker Magnus Brechtken gesprochen. Er ist stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München sowie Verfasser einer Biografie von Hitler-Intimus Albert Speer und leitet ein Editionsprojekt über Hitlers Reden aus den Jahren 1933 bis 1945.

Herr Brechtken, wie beurteilen Sie die Debatte über Gaulands FAZ-Text?

Das ist eine Kakofonie verschiedener Stimmen, die sich über unterschiedliche Dinge äussern und dies oft nicht merken. Gauland nimmt Gedanken aus einem «Tagesspiegel»-Artikel auf, gibt diesen aber eine andere Stossrichtung. Historisch steht der Gauland-Text in der Tradition des Kulturpessimismus, der seine Wurzeln im 19. Jahrhundert hat. Immer wenn es in Teilen der Bevölkerung ein Unbehagen und ein Nichtverstehen der Komplexität des gesellschaftlichen Wandels gibt, tauchen auch verschwörungstheoretische Erklärungen auf. Beim Gauland-Text sind es nun die globalen Eliten. Die Diskussion um globale Klassen hat eine lange Tradition.

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Oktober 2018

Wie viel Hitler steckt im Gauland-Text?

Gauland und Hitler stehen in denselben Denktraditionen: Die Imagination der international vernetzten «Elite», die die Geschicke des unschuldig sich nicht wehren könnenden Volkes bestimmt, wogegen «das Volk» politische Führer braucht, die dieses «System» beseitigen. Ob Gauland sich der Hitler-Parallelen bewusst ist oder nicht, ist dabei nachrangig. Als durchaus Gebildeter sollte Gauland aber die Denktradition kennen, in die er sich stellt und in der eben auch Hitler stand.

Können Sie erklären, wie der Kulturpessimismus entstanden ist?

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von starker Industrialisierung und technischer Entwicklung. Vielen Menschen erschien diese neue Welt überkomplex, sie fühlten sich überfordert. Anstatt sich Gedanken über die Ursachen des Wandels zu machen, suchten sie nach einfachen Erklärungen. Das waren dann oft anonyme Kräfte oder Personengruppen, die verantwortlich sein sollten.

Das heisst?

Ein Beispiel für solche Erklärungsmuster sehen wir im modernen Antisemitismus, der damals entstand. In modernen Berufen, etwa bei Bankiers, Anwälten, auch Journalisten, waren Menschen jüdischer Herkunft oft erfolgreich. So wurden sie mit der neuen Komplexität und den unwillkommenen Folgen des Wandels identifiziert. «Kulturpessimismus als politische Gefahr» heisst ein kluges Buch des Historikers Fritz Stern. Darin analysiert er Paul de Lagarde, Julius Langbehn und Arthur Moeller van den Bruck als Exponenten dieses Irrationalismus. Sie entwickelten Denkfiguren und Argumentationsmuster, bei denen sich auch Hitler bediente. So zum Beispiel in der nun diskutierten Rede Hitlers vor Arbeitern der Siemens-Werke in Berlin im November 1933. Hitler sprach damals von einer wurzellosen internationalen Clique. Ähnliche Denkfiguren verwendeten auch die Marxisten. Bei ihnen ging es um Finanzkapitalisten und Unternehmer. Solche Interpretationen ziehen sich bis in die Gegenwart. Vereinfachungen dieser Art sind typisch für alle Spielarten des Populismus.

Heute sind es vor allem die Digitalisierung und die Migration, die die Menschen verunsichern und Verlustängste auslösen. Was antworten Sie Gauland, wenn er die globale Elite als Ursache vieler Übel anprangert?

Gauland konstruiert eine anonyme Macht, die unsere Gesellschaften kontrolliert und steuert. Dass eine globale Elite etwa die deutsche Politik diktiert, ist Unsinn. Politik findet auf zahlreichen Ebenen statt, vom Bundestag abwärts. Jeder kann sich einmischen, wenn er mag. Bürger können sich in Parteien engagieren und an öffentlichen Debatten teilnehmen. Gerade die Tatsache, dass die AfD selbstverständlich wählbar ist und auch gewählt wird, zeigt, dass wir in Deutschland eine funktionierende politische Streitkultur haben. Die anderen Parteien setzen sich mit der AfD auseinander. Das ist ein ganz normaler Prozess in einer Demokratie. Dagegen versucht Gauland den Eindruck zu erwecken, dass die repräsentative Demokratie nicht funktioniert. Auch diese Fundamentalkritik am sogenannten System ist eine typische Denkfigur der Rechten, die zum Beispiel auch von der NPD bekannt ist.

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Oktober 2018

Die AfD propagiert ein eigenes Geschichtsbild. Björn Höcke fantasiert offen mit völkischen Ideen. Ist auch das ein typisches Denkmuster in der AfD?

Ja. Die Vorstellung eines homogenen Volkes ist eine historische Konstruktion. Bei der Nationalstaatenbildung kamen in Europa und vor allem in Deutschland völkische Elemente dazu. Im Nationalsozialismus steigerte sich dies zu einem aggressiven Rassismus. Auf diese Geistestradition einer vermeintlich homogenen Gruppe spielt Höcke an, wenn er sagt: «Mein liebes Volk.» Tatsache ist, dass gerade Mitteleuropa immer ein grosser Topf des sozialen Wandels war. Es gab immer starke Wanderungsbewegungen in alle Richtungen. Die Vorstellung eines homogenen Urvolks ist pure Fantasie. Wenn Höcke seine Vorfahren aus dem 16. Jahrhundert treffen würde, hätte er grosse Schwierigkeiten, sich mit ihnen zu verständigen. Sprache, Weltbilder und Lebensauffassung wären sehr unterschiedlich.

Auch Gauland fällt mit eigenartigem Geschichtsverständnis auf. Etwa in seiner Vogelschiss-Rede, bei der er von einem Deutschland mit 1000 Jahren erfolgreicher Geschichte sprach. Lässt man Gaulands «Vogelschiss Zweiter Weltkrieg und Holocaust» weg, bleiben etwa noch der Erste Weltkrieg oder auch der Dreissigjährige Krieg, die keinesfalls für Erfolg stehen. Welche deutsche Geschichte meint Gauland?

Gauland, aber auch Höcke haben vermutlich Goethe, Kant, Hegel oder Beethoven vor Augen. Man muss sich aber vorstellen, wie die Mehrzahl der Menschen etwa zu Kants Zeiten gelebt haben. Das waren überwiegend Bauern, Landarbeiter, Handwerker, Menschen in einfachen Alltagsumständen, oft in widrigsten Lebensbedingungen mit hoher Sterblichkeit. Kriege und Gewalt gehörten zum Alltag. Die genannten grossen Köpfe waren Angehörige einer sehr kleinen Gesellschaftsschicht. Im Übrigen wurde der Nationalismus erst im 18. Jahrhundert erfunden. Ein Bauer in Sachsen, ein Kaufmann in Hamburg, ein Wirt in München hätte wohl seine regionale und seine religiöse Bindung benannt, aber sich kaum als deutschen Nationalisten bezeichnet. Goethe verstand sich als Kosmopolit.

Die AfD ist 2017 erstmals in den Bundestag eingezogen, in den ostdeutschen Bundesländern ist sie eine wichtige Kraft, sie dominiert die öffentlichen Debatten. Warum ist die AfD derart erfolgreich unterwegs?

Viele Menschen bevorzugen einfache Erklärungen der Welt, gerade weil diese immer komplexer wird. Das historische Bewusstsein für die Grundlagen unserer heutigen Freiheit gerät aus dem Blick. Gerade in West- und Zentraleuropa haben wir Gesellschaften mit nie gekanntem Wohlstand, einen nie gekanntem Grossraum des Friedens und ein nie gekanntes Mass an persönlicher Freiheit und Sicherheit. Keine Generation vor uns hat historisch in Europa 73 Jahre ununterbrochenen Friedens erlebt. Wenn die Vergangenheit verklärt wird, sollte sich jeder AfD-Wähler vergegenwärtigen, wie seine Vorfahren vor hundert oder zweihundert Jahren in Deutschland lebten. Wir erleben seit Jahrzehnten enorme Fortschritte, medizinisch, sozial, gesellschaftlich. Die Gründe liegen vor allem in unserem stabilen Rahmen von Freiheit und Recht. Die parlamentarische Demokratie ist eine historische Errungenschaft, ebenso wie die soziale Marktwirtschaft und der Rechtsstaat: Diese Errungenschaften müssen wir immer wieder als historisch geworden erklären und verteidigen. Sie bedürfen unseres Einsatzes.

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 12 Oktober 2018

Wie viel Extremismus steckt in der AfD? Wo ist für Sie die Grenze zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus?

Es wird dann problematisch, wenn die parlamentarische Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit infrage gestellt wird. Oder wenn zu Gewalt aufgerufen wird.

Von Gauland stammt der Kampfaufruf gegen Kanzlerin Angela Merkel: «Wir werden sie jagen?» Wie beurteilen Sie das?

Klar, Worte stehen für Denken und Wollen. Man muss die Menschen aber an ihren Taten messen. Wer mit «jagen» Gewalt meint und nicht parlamentarische Debatten, ist ein Gegner der Demokratie und der Verfassung. Worte sind oft Vorstufen des Handelns, weil sie appellativen Charakter haben. Die Verrohung der Sprache ist in jedem Fall bedenklich.

In Deutschland läuft eine Debatte über die Frage, ob die AfD unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestellt werden soll. Was ist Ihre Meinung dazu?

Es gibt Überschneidungen zwischen der AfD und den Reichsbürgern und der Identitären Bewegung: Bei diesen erklärten Gegnern des Grundgesetzes und des Rechtsstaates muss der Verfassungsschutz aktiv sein. Die AfD als Ganzes erscheint komplexer. Würde die AfD insgesamt beobachtet, könnte sie sich in eine Opfer- und Stigmatisierungsrolle gestellt sehen. Das würde ihr wohl eher nützen. Mit der AfD muss man sich politisch auseinandersetzen. Das ist sehr wichtig. Man muss zeigen, woher sie kommt, wofür sie steht und wohin sie will. Dann muss jeder Bürger selber entscheiden, ob er in einem AfD-gedachten, völkischen Staat leben möchte.

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 15 Oktober 2018

Wir könnten uns auch zuerst mal mit dem Thema Ärztemangel aus Eurer Sicht beschäftigen.

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Dr. Günter Gerhardt schrieb 15 Oktober 2018

Josef Hecken

 

„Politik muss sich ernsthaft damit beschäftigen, Überversorgung abzubauen“

 

Die einflussreichen Stimmen, Praxisverkäufe zu erschweren, werden immer lauter. Es könnte für viele Ärzte ein folgenreicher Baustein einer neuen Bedarfsplanung werden.

 

Hecken: „Man muss sich in der Politik ernsthaft mit der Frage beschäftigen, wie man Überversorgung abbaut.“
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Nach dem Sachverständigenrat Gesundheit (SVR) fordert nun auch der Unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), Prof. Josef Hecken, die Politik auf, niedergelassenen Ärzten in überversorgten Gebieten die Möglichkeit zu nehmen, ihre Praxis weiterzuverkaufen oder zu vererben. „Man muss sich in der Politik ernsthaft mit der Frage beschäftigen, wie man Überversorgung abbaut“, sagte Hecken am Montag in Berlin. Und dies gelinge nur, wenn Praxen etwa in überversorgten Städten nach dem Abgang eines Arztes nicht mehr verkauft werden dürften, sondern aus der Bedarfsplanung herausfielen. Wenn man diesen Schritt nicht gehe, würde es weiter einen Sog der Ärzte in die Städte geben, „dann werden wir das Potenzial nicht haben, die Sitze auf dem Land zu besetzen“. Auch im jüngst vorgelegten SVR-Gutachten zur Neuordnung des Gesundheitswesens gab es die Forderung, dass ein Arztsitz kein „eigentumsähnliches Gut“ mehr sein sollte.

Heckens Forderung findet sich im externen Gutachten zur Neuordnung der Bedarfsplanung, das der GBA am Montag präsentierte, nachdem es am Freitag bereits schon einmal vorgestellt wurde. Die von der Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Leonie Sundmacher geleitete Studie soll die weiteren Verhandlungen im GBA zum Thema unterfüttern, es hat aber unverbindlichen Charakter. Hecken machte bei seiner Eröffnungsrede deutlich, dass sein Gremium zwar neue Arzt-Einwohner-Verhältniszahlen vorlegen könne, dies aber nur Folgen habe, wenn man diese dann auch mit Ärzten besetzen könne. Unter den jetzigen Voraussetzungen sei das schwierig. Er verwies auf den demografischen Wandel bei Ärzten wie Patienten, der zu einer Verschärfung der Versorgung führe, die auch nicht adhoc über mehr Studienplätze und auch nicht über die Immigration von Ärzten gelöst werden könnte. Zudem sinke die Bereitschaft nachwachsender Ärzte, so lange zu arbeiten wie derzeitige Praxisinhaber. Die Überversorgung in Städten abzubauen um mehr Praxisärzte für unterversorgte Gebiete freizusetzen, sei eine der kurzfristig wirksamen Maßnahmen, die die Politik ergreifen könnte, machte Hecken deutlich.

2.527 zusätzliche Psychotherapeuten

In dem 700 Seiten umfassenden Gutachten wird berechnet, dass etwa zwischen 5.000 und 12.000 neue Arztsitze möglich wären, würde die Richtlinie nach den Empfehlungen des Gutachtens umgesetzt. Demgegenüber stünden Sitze, die in überversorgten Regionen über der 140-Prozent-Grenze lägen, bei der Zulassungsausschüsse keine neuen Sitze mehr zulassen dürfen – und die dann auch nicht mehr verkauft werden könnten. Bei Hausärzten wären das im höchsten Fall 606 Sitze, bei Frauenärzten 506, Kinderärzten 744, Chirurgen 751, Orthopäden 462, und Psychotherapeuten sogar 2.527. Es dürften fast alles Sitze in lukrativen Gegenden sein, bei denen die Besitzer bisher davon ausgehen können, dass sie einen guten Preis dafür bekommen werden, wenn sie in den Ruhestand gehen. Würden die Vorschläge von SVR und GBA-Chef Hecken, die auch vom GKV-Spitzenverband unterstützt werden, politisch umgesetzt, dürften sich viele Ärzte vor allem in den Großstädten von dieser Aussicht verabschieden.

Konkret heißt es im Gutachten, dass eine „Ablehnung eines Antrags auf Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes vom Zulassungsausschuss ab einem Versorgungsgrad von 140 Prozent erfolgen“ sollte. Auch Ausnahmeregelungen sollten nicht gelten, wenn sie nicht versorgungsrelevant seien – „insbesondere ein Status des Antragstellers als Ehepartner, Lebenspartner oder Kind“. Zudem wird empfohlen, den Kassen eine Mehrheit im Zulassungsausschuss zu geben, da „Stimmengleichheit dem effektiven Abbau einer Überversorgung im Weg“ stünden.

GBA-Chef Hecken sprach von einem „guten Gutachten“, das Wege aufzeige, in einer von „Mangelverwaltung“ geprägten Selbstverwaltung neue Wege zu gehen. Er hoffe, dass der GBA „Mitte des kommenden Jahres dem Bundesgesundheitsministerium einen Richtlinienbeschluss vorlegen kann“, sagte er.

 

15.10.2018 16:49:25, Autor: tt

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 04 November 2018

Flüchtlinge und Beipackzettel

Wie die AfD den Namen der Bundesapothekerkammer missbraucht

Berlin - 22.05.2018

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Die AfD-Politikerin Brigitte Malsack-Winkemann behauptete im Bundestag, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten entstehen, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht lesen können. DAZ.online-Recherchen zeigen: Eine dreist konstruierte Behauptung mit null Wahrheitsgehalt. (Foto: dpa)

Die AfD-Politikerin Brigitte Malsack-Winkemann behauptete im Bundestag, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten entstehen, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht lesen können. DAZ.online-Recherchen zeigen: Eine dreist konstruierte Behauptung mit null Wahrheitsgehalt. (Foto: dpa)


Am vergangenen Freitag wurde im Bundestag der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums diskutiert. Die AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann behauptete in ihrer Rede, dass dem Gesundheitssystem Milliardenkosten entstünden, weil Flüchtlinge ihre Beipackzettel nicht lesen könnten. Sie bezog sich dabei auf die Bundesapothekerkammer. Ein Faktencheck von DAZ.online zeigt: Die Behauptung ist dreist konstruiert.

Als es am vergangenen Freitag in der sogenannten Haushaltsdebatte im Bundestag um den Einzelplan des Bundesgesundheitsministeriums ging, zeigte sich – wie schon in den Besprechungen der anderen Einzelpläne zuvor – wie sich die Diskussionskultur im Parlament geändert hat: Die AfD nutzt nahezu jeden Redebeitrag zu jedem Thema, um die Zuwanderungspolitik in den Vordergrund zu stellen. Abgeordnete anderer Parteien unterbrechen AfD-Politiker mit lauten Zwischenrufen, Zwischenfragen von AfD-Abgeordneten zu ihren Redebeiträgen lassen sie grundsätzlich nicht zu.

Den Einzelplan Gesundheit kommentierte unter anderem Birgit Malsack-Winkemann, die AfD-Obfrau im Haushaltsausschuss des Bundestages. Malsack-Winkemann ist promovierte Juristin und arbeitete nach 1993 als Richterin im Land Berlin. Fast unbemerkt versteckte sie in ihrer Rede eine Behauptung, die insbesondere für die Apotheker von Interesse sein dürfte. Um diesen Auszug aus ihrer Rede geht es:


„Fraglich ist auch, welche Schäden dem Gesundheitssystem entstehen, weil ein großer Teil der Flüchtlinge Analphabeten sind. Nach einer im Rahmen einer Konferenz der Bundesapothekerkammer  vorgestellten Studie sind 14,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland Analphabeten; weitere 26 Prozent können nur fehlerhaft lesen und schreiben. Daraus entstehen nach Schätzung dieser Studie jährliche Kosten zwischen 9 und 15 Milliarden Euro, und zwar weil Beipackzettel nicht gelesen werden können oder die Medikation nicht verstanden wird, sodass mehr Notfallbehandlungen und Krankenhausaufenthalte die Folge sind.“


Schaut man sich die Zusammenhänge und Zahlen in diesem Argument genauer an, fällt schnell auf, wie hier Zahlen unzulässig miteinander kombiniert und Fakten kreiert wurden, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Um diese Fakten geht es:

  • Es ist unklar, von welcher „Konferenz“ die AfD-Abgeordnete spricht. Auch eine Nachfrage bei der Bundesapothekerkammer brachte hier kein Licht ins Dunkel – selbst dort weiß man nicht, bei welcher Konferenz das Thema „Flüchtlinge und Beipackzettel“ eine Rolle gespielt haben soll. Eine Sprecherin der AfD-Abgeordneten verweist auf Nachfrage von DAZ.online auf eine Pressekonferenz der Bundesapothekerkammer, die im März 2018 stattgefunden hat. Um den Zusammenhang zwischen Flüchtlingen, die ihre Beipackzettel nicht richtig lesen können, und den Gesundheitsausgaben ging es bei dieser Pressekonferenz allerdings nicht. Vielmehr stand die Gesundheitskompetenz der Menschen im Mittelpunkt: Prof. Marie-Luise Dierks von der Medizinischen Hochschule Hannover stellte einen Zusammenhang her zwischen der geringen Gesundheitskompetenz und medizinischen Auswirkungen, wie etwa Medikationsfehlern oder häufigeren Notfallbehandlungen im Krankenhaus. Dass „Flüchtlinge“ eine besonders schlechte Gesundheitskompetenz haben, geht aus der von Dierks zitierten Studie allerdings nicht hervor. Vielmehr heißt es, dass „Menschen mit Migrationshintergrund“ – also alle schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebenden Einwanderer – eine tendenziell schlechtere Gesundheitskompetenz haben (übrigens ähnlich schlecht wie chronisch Kranke oder Menschen mit niedrigem Bildungsgrad).
  • Die Bundesapothekerkammer erklärte gegenüber DAZ.online: „Eine eigene Studie zu Analphabetismus (oder zu den daraus möglicherweise resultierenden Gesundheitskosten) haben weder Bundesapothekerkammer noch ABDA durchgeführt.“ Einzig und allein in einer Pressemitteilung aus dem November 2016 hat sich die Standesvertretung der Apotheker jemals (öffentlich) mit dem Thema beschäftigt. In der Mitteilung ging es um die Bedeutung der Apotheke vor Ort für die Arzneimittelberatung von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland ging. An keiner Stelle geht es aber um die Kosten, die sich durch Zuwanderer ergeben, die kein Deutsch können und somit keine Beipackzettel lesen können. Die BAK weist in dieser Pressemitteilung lediglich darauf hin, dass Migration einer der Gründe für funktionalen Analphabetismus sein kann. Stellt dazu aber sofort klar: „Nicht nur Migranten sind betroffen: Mehr als die Hälfte der funktionalen Analphabeten sind deutsche Muttersprachler. Rechnet man Zuwanderer ohne ausreichende mündliche Deutschkenntnisse hinzu, liegt die Zahl der Betroffenen noch höher.“ Für weitere Zahlen zum Analphabetismus verweist die ABDA auf ihrer Seite auf eine Themenseite der Bundeszentrale für politische Bildung.

 

Wie kommt die AfD zu solchen Äußerungen?

  • Selbst wenn man sich die eigentlichen Studien zu diesem Thema anschaut, wird klar, dass die AfD-Behauptungen schlichtweg falsch sind. Malsack-Winkelmann behauptet zwar richtigerweise, dass 14,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung funktionale Analphabeten sind – sie können also Einzelwörter lesen, verzweifeln aber schon an kurzen Sätzen bzw. längeren Textabschnitten. Dass zu diesem Bevölkerungsteil hauptsächlich Flüchtlinge gehören, ist aber nirgends erwähnt. Sogar das Gegenteil ist der Fall: So heißt es etwa auf der oben genannten Themenseite der Bundeszentrale für politische Bildung: „Wer nun glaubt, dass es sich bei den 14,5 Prozent der sehr gering literalisierten Personen (…) vornehmlich um Menschen mit einer Zuwanderungsgeschichte handelt, der irrt. Zwar ist der Anteil der mehrsprachigen Menschen im Vergleich zur Verteilung in der Gesamtbevölkerung überproportional, doch für die Mehrheit der Betroffenen (58 Prozent) ist Deutsch die Muttersprache." Nichtsdestotrotz ist es richtig, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teils besorgt ist, was das Lerntempo der Zuwanderer in Sprachkursen betrifft. Medienberichten zufolge erreichen 80 Prozent der Kursteilnehmer nicht das Sprachniveau B1, das Jobcenter als Mindestanforderung heranziehen. Allerdings: Hier ging es aber um etwa 43.000 Kursteilnehmer im ersten Halbjahr 2017. Dass diese Menschen milliardenschwere Auswirkungen auf die deutsche Analphabeten-Quote oder die Gesundheitsausgaben haben, ist unwahrscheinlich.
  • Und auch was die Benennung der Kosten für das Gesundheitssystem betrifft, hat die AfD entweder schlecht recherchiert oder ganz bewusst falsche Behauptungen aufgestellt. Wie oben schon erwähnt, hat die Bundesapothekerkammer sich selbst nie mit den Auswirkungen des Analphabetismus auf die Volkswirtschaft befasst, schon gar nicht mit Blick auf Flüchtlinge und Beipackzettel. Bezüglich der Kosten hat sich die AfD wohl an einer Pressemitteilung der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2013 bedient. Dort heißt es: „Mangelnde Lesefähigkeit stellt die Betroffenen vor große Herausforderungen, ihren Alltag zu bewältigen und sich für einen Beruf zu qualifizieren. Das hat Folgen für die gesamte Gesellschaft: Hochgerechnet ist in den kommenden 10 Jahren mit 15 Milliarden Euro Folgekosten zu rechnen, wenn es nicht gelingt, niedrig qualifizierten Menschen Bildungschancen und Perspektiven zur Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben zu ermöglichen beziehungsweise zu erhalten.“ Auch in der oben genannten Darstellung von Prof. Marie-Luise Dierks aus Hannover wird diese Zahl genannt. Dass diese Mehrkosten auf analphabetische Flüchtlinge zurückgehen, davon ist dort keine Rede. Überhaupt werden die Mehrkosten nicht mit dem Gesundheitssystem verbunden. Vielmehr nennt die Stiftung Lesen die Branchen „Baugewerbe, Gastronomie und Gebäudereinigung“ als Wirtschaftszweige, in denen es die meisten funktionalen Analphabeten gibt.

Dass jährlich „zwischen 9 und 15 Milliarden Euro“ Mehrkosten entstehen, weil „Beipackzettel nicht gelesen werden können oder die Medikation nicht verstanden wird, sodass mehr Notfallbehandlungen und Krankenhausaufenthalte die Folge sind“, ist also eine These, die mit Blick auf die vorliegenden Fakten keinerlei Wahrheitsgehalt hat.

Auf Nachfrage im Büro Malsack-Winkemann dazu, wie man zu einer solchen Aussage kam, relativierte eine Mitarbeiterin die Behauptungen und kritisierte die Fragestellung von DAZ.online: „Eine gute Pressearbeit setzt voraus, dass die Berichterstattung sachlich und inhaltlich bezogen ist. Diese Fragestellung verdreht den Vortrag bis zur Unkenntlichkeit.“ Konkret stellt das Büro Malsack-Winkelmann in Frage, dass sich die AfD-Abgeordnete mit ihrer Rede nur auf Flüchtlinge bezogen habe. „Woraus meinen Sie aus der Formulierung ‚... 14,5 Prozent der erwachsenen  Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland sind Analphabeten; weitere 26 Prozent können nur fehlerhaft lesen und schreiben‘ erkennen zu können, dass dies die Gruppe der Geflüchteten darstellt?“

Schließlich weist das AfD-Büro auf das Wort „fraglich“ hin, das am Anfang des Redeabsatzes steht: „Sollte der tatsächlich in der Rede enthaltene einleitende Satz ‚Fraglich ist auch, welche Schäden dem Gesundheitssystem entstehen, weil ein großer Teil der Flüchtlinge Analphabeten sind?‘, bei Ihnen zu derartigen Schlussfolgerungen führen, so möchte ich gern anmerken, dass bereits das einleitende Wort ‚Fraglich‘ eben wortgemäß auf Unklarheit abstellt. Ihre Bezugnahme ist daher, es wird wiederholt, sachlich falsch.“

Die Bundesapothekerkammer wollte die Äußerungen der AfD-Politikerin und das Verwenden ihres Namens in diesem Kontext nicht weiter kommentieren.

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 11 November 2018

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