Ganz aktuell am 18.06.2020 von der FDP Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus: "Die niedergelassenen Ärzte haben uns gerettet" s.u.
Vielen Dank und Chapeau liebe Frau Römer für Ihr Statement (s.u.).
Wir wundern uns aber auch über das achselzuckende Verhalten der Kolleginnen und Kollegen in Bayern, die Herrn Söder einfach so machen lassen. Bitte lesen Sie unten "Söders Plan: Versorgungsärzte, Zwangsverpflichtung...Retourkutsche für 2010?"
„Ohne uns bricht die ambulante Versorgung zusammen!“
Die Hausärzte in Rheinland-Pfalz reagieren zunehmend ungehalten auf das Verhalten der Politik in der Corona-Krise. Der hiesige Hausärzteverband fordert mehr Unterstützung – nicht nur mit Schutzkleidung, sondern auch in Sachen Honorar.
„Es reicht! Das institutionelle Verhalten gegenüber der essenziell notwendigen, hausärztlichen Tätigkeit gerade in diesen Krisenzeiten ist unverantwortlich“, kritisiert Dr. Barbara Römer, Vorsitzende des Hausärzteverbands Rheinland-Pfalz, in einem aktuellen Rundschreiben an die Verbandsmitglieder.
Mit ganzer Kraft engagierten sich die Hausärzte für die Sicherstellung der ambulanten Patientenversorgung. „Wir entziehen uns nicht der Verantwortung! Doch wie werden wir unterstützt?“, fragt Römer.
Überall fehle es an Schutzkleidung. Während die Landesregierung verkünde, sie sei nicht verantwortlich für den Schutz der Niedergelassenen. „Im Endemiefall ist die staatliche Hand verantwortlich“, betont die Verbandschefin.
Hausärzte würden derzeit alles dafür tun, um Infektionsketten zu durchbrechen und wandelten persönliche in indirekte Kontakte um – etwa durch telefonische Konsultationen.
Doch warum seien die Telefonsprechstunden budgetiert, Online-Sprechstunden aber nicht?, wundert sich Römer. Datenleitungen seine entweder chronisch überlastet oder regional gar nicht vorhanden. „Videophonie überwiegend schlichtweg nicht umsetzbar“, schimpft sie.
Ihr Verband fordere daher eine sofortige Entbudgetierung sämtlicher Gesprächsleistungen „einschließlich der verbalen Intervention sowie eine Abrechenbarkeit UNABHÄNGIG davon, ob sie telefonisch, per Videophonie oder im direkten Arzt-Patienten-Kontakt erbracht werden, UND UNABHÄNGIG davon, worüber mit den Patienten gesprochen wird!“, fordert Römer.
Sie appelliert: „Wir brauchen dringend Unterstützung unserer Arbeit – JETZT! Ohne die Hausärztinnen und Hausärzte bricht die ambulante Versorgung zusammen.“
„Die Politik muss genauer auf die Niedergelassenen schauen“
Die Rolle der niedergelassenen Ärzte im Kampf gegen das Coronavirus werde öffentlich zu wenig gewürdigt, kritisiert der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern. „Wir verlangen von der Politik, dass sie genauer schaut, wie das Bollwerk vor den Krankenhäusern arbeitet und belastet ist.“
„Die Leistungen unserer Ärzte und Psychotherapeuten in den Praxen als Bollwerk vor den Krankenhäusern, als erster Ansprechpartner der verunsicherten, ängstlichen oder panischen Patienten“ würden von Politik und Medien zu wenig wahrgenommen. „Das bewegt uns als Vorstand sehr“, schreiben KV-Chef Axel Rambow und seine beiden Stellvertreterinnen Jutta Eckert und Angelika von Schütz im aktuellen „KV-Journal“.
Die Politik konzentriere sich darauf, die stationäre Versorgung schwerstkranker Covid-19-Patienten sicherzustellen. Dies sei zwar vernünftig, dürfe aber nicht der alleinige Fokus sein. Aussagen wie: „...die Wartezimmer sind leer, die Ärzte haben nicht viel zu tun“, seien ein Beleg für „ein absolutes Unverständnis dessen, was besonders in den Praxen der grundversorgenden niedergelassenen und angestellten Ärzte zurzeit geschieht, in denen Patienten mit massivem Kraftaufwand durch Ärzte und Personal telefonisch, zunehmend auch per Video betreut werden“.
Als Nichtmediziner könne man sich nicht vorstellen, wie „kraftzehrend eine solche Tätigkeit sei. Das Maß der Belastung von niedergelassenen Ärzten lasse sich nicht nur an der Anzahl der Patienten in den Wartezimmern messen. „Wir verlangen von der Politik, dass sie genauer schaut, wie das Bollwerk vor den Krankenhäusern arbeitet und belastet ist. Auch hier soll die Fürsorgepflicht des Staates stattfinden!“, fordert der KV-Vorstand.
An die Vertragsärzte appelliert er: „Zeigen Sie alle Geschlossenheit und Präsenz für Ihre Patienten.“ Man arbeite in der KV fieberhaft daran, den Niedergelassen den Rücken frei zu halten.
Bitte auch Geschlossenheit zeigen gegenüber Politik, Krankenkassen, Versicherungen, MDK, Sozialgerichten, DRV, Landesämter etc. Ich habe dieser TageTelefonate geführt mit einer Versicherung und meinem geliebten MDK. In beiden Briefen stand "Wir erwarten Ihre Antwort bis...(2 Tage nach Posteingang)". Eigentlich wollte ich nur deutlich machen, dass wir diese kurzen Fristen nicht einhalten können und jetzt in Coronazeiten schon einmal gar nicht. Ich wurde 2x sehr barsch abgefertigt von 2 Damen im Homeoffice mit den Worten "Das gehört zu Ihren Aufgaben!"
Und liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nicht an der Selbstverwaltung, dem Sicherstellungsauftrag rütteln. Wir müssen den Status Körperschaft erhalten, wir sind damit auf Augenhöhe zu den Krankenkassen und der Politik. Wenn Sie mit der KV , die erhalten werden muss, unzufrieden sind, dann raus aus den Sesseln und Engagement! Nicht nur schreiben, sondern handeln. M.E. wäre das änd Wartezmmer TV mit politischen Themen, die uns auf der Seele brennen, eine gute Möglichkeit, sich zu engagieren. Warum wohl fürchten die Krankenkassen, die Politik und auch die Medien ein solches politisches Wartezimmer TV wie der Teufel das Weihwasser. Weil sie die (möglichen!) Zuschauerzahlen fürchten. "Müssen wir aber nicht" sagte mir ein namhafter Politiker und ein Intendant eines großen öffentlich rechtlichen TV Senders, "weil Ihr Ärzte Euch nicht einig seid, sondern lieber untereinander in aller Öffentlichkeit Eure Kämpfe austragt wie beispielsweise HA gegen FÄ..." Was hat mir mal vor vielen Jahren ein Landesgesundheitsminister gesagt? "Wenn es in einer Ärzteveranstaltung für mich eng wird, dann muss ich nur den Ball spielen HÄ...FÄ" spielen und schon geht's los, ich kann den Saal verlassen, was nicht bemekt wird."
"Divide et impera" hat schon immer geklappt. Ein derzeitiger Meister dieser Strategie ist Herr Söder: Er hat jetzt in Bayern die Gunst der (Corona) Stunde ergriffen - abgekupfert von Victor Orbán -
und die Versorgungsärzte eingeführt, die von Bürgermeistern und Landräten ernannt werden und die Zwangsverpflichtung.
Können Sie sich noch an die Ereignisse rund um die Idee des Kollegen Hoppenthaller erinnern? Ich schon! Aus heutiger Sicht sage ich: Schade dass das damals nicht geklappt hat.
Googlen Sie mal "Korbmodell/Hoppenthaller/Söder".
Ein Kollege hat auf diesem Forum geschrieben "Ein Aufschrei muss durch die Ärzteschaft gehen". Recht hat er. Wenn wir diese Gelegenheit wieder versäumen und uns lieber wortgewaltig in Szene setzen, weil beispielweise die HÄ auf die FÄ sauer sind weil sie weniger arbeiten müssen und die FÄ auf die HÄ, weil sie weiter Umsatz machen, dann ist uns nicht zu helfen. Unter dem Motto "Regress statt Corona" wird in Berlin längst an einer Verschärfung der Wirtschaftlichkeitsprüfung gefeilt, für den Fall, dass in der Corana-Krise mehr oder vielleicht sogar falsch (bei täglich neuen Regelungen) abgerechnet wird. Wenn ich dann in Ärzteveranstaltungen Sätze höre wie "das ist halt so, wie immer, machen kann man eh nix und es ist ja irgendwie immer weiter gegangen", dann denke ich: OK, der Letzte macht das Licht aus!
Niedergelassene „wichtiger Baustein“ bei Virusbekämpfung
Professionalität und Flexibilität von Ärzten und ihren Teams – das sind für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Gründe dafür, warum das Land bislang „gut durch die Krise“ – die Corona-Pandemie - gekommen ist. Bei einem Besuch der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hamburg lobte er die Ärzte „hier und in ganz Deutschland“ für ihren engagierten Einsatz.
So würden sechs von sieben Covid-19-Patienten von niedergelassenen Ärzten begleitet, damit sich die Krankenhäuser auf schwerere Fälle konzentrieren könnten. „Niedergelassene sind ein wichtiger Baustein.“ Ein anderer Baustein seien die einschneidenden Maßnahmen, die dabei geholfen habe, die Infektionsdynamik bundesweit und insbesondere in Hamburg mit seinen vielen Winterurlaubs-Rückkehrern zu durchbrechen.
Der Vorsitzende der Vertreterversammlung der KV, Dr. Dirk Heinrich, zeigte sich „stolz“ auf die Kollegen, die wie die Medizinischen Fachangestellten vom ersten Tag an ihren Dienst normal geleistet hätten – ob mit Schutzausrüstung oder ohne. Für wichtig halte er es zudem, dass Menschen abseits von Corona versorgt würden. „Wir können, wir wollen, wir werden das leisten.“
Auch die „Leistungsfähigkeit“ der KV lobte er. Es seien Sachen angepackt worden, für die die KV gar nicht zuständig ist. „Wir sind kein Logistikunternehmen.“ Aber die KV hätte Material bestellt, Lager gemietet, für Logistik gesorgt, neue Fahrzeuge, Sanitäter und Mitarbeiter organisiert. Laut Walter Plassmann, Vorstandsvorsitzender der KV, seien mehr als 60 Prozent der rund 4.000 Infizierten in Hamburg vom Arztruf auf ihre Erkrankung getestet worden - das bedeutet, diese Menschen sind bei sich Zuhause getestet worden und mussten nicht den Weg zur Arztpraxis auf sich nehmen. Das zeige die Bedeutung der KV.
17 Konzepte, aber gleiches Ziel
Konzepte wie diese nannte Spahn als positives Ergebnis davon, dass das Gesundheitssystem nicht zentral gesteuert werde. Zwar würden die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen verschiedene Konzepte vorbringen, aber das Ziel sei gleich. „Das macht uns stark.“ Die Zusammenarbeit zwischen Politik und Selbstverwaltung sei indes gut, Spahn sei „sehr dankbar für das, was Ärzte und KVen leisten“.
Für Arztpraxen, die wegen fehlender Patienten mit finanziellen Einbußen rechnen müssen, seien gesetzlichen Voraussetzungen für Unterstützung geschaffen worden, so Spahn. Plassmann dazu: „Die generalisierten Regelungen muss jede Kassenärztliche Vereinigung auf ihre Honorarsysteme übertragen.“ Jeder Arzt und Psychotherapeut könne zuversichtlich sein, dass ihm damit geholfen werde.
Heinrich schätzte, Kurzarbeit, die mittlerweile zum Teil in Kliniken angemeldet wurde, sei „möglicherweise für spezialisierte Ärzte Thema gewesen“. Er selbst halte Kurzarbeit zwar für „bedauerlich“ – aber sie sei in Anbetracht der Versorgungsengpässe in anderen Ländern ein gutes Zeichen. Auch Spahn sagte: „Ich führe lieber eine Debatte über Kurzarbeit als eine Situation zu haben wie in anderen Ländern.“
Bei der Pandemiebewältigung standen die Krankenhäuser im Fokus der Politik. Ein Fehler, wie die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus meint. Der änd traf sie in ihrem Bundestagsbüro zum Interview mit gebührendem Abstand.
(c) FDP
Frau Aschenberg-Dugnus, die FDP fordert die Aufhebung der epidemischen Lage. Glauben Sie, dass die Covid-19-Epidemie vorbei ist?
Nein überhaupt nicht. Covid-19 ist nicht vorbei. Wir müssen immer noch die Abstands- und Hygieneregelungen einhalten und in der Lage sein, Lockerungen wieder rückgängig zu machen. Aber Sie können doch keinem mehr erzählen, dass eine nationale Notlage herrscht, in der das Bundesgesundheitsministerium entscheiden müsste.
Wir haben ein Gutachten zu der Frage eingeholt, was die epidemische Lage von nationaler Tragweite bedeutet. Aus dem Gutachten von Professor Kingreen geht eindeutig hervor, dass es für die Definition einer epidemischen Lage ganz wesentlich ist, dass eine Überlastung des Gesundheitswesens besteht oder droht, die dazu führt, dass die Länder alleine nicht mehr Herr der Lage sind und der Bund das Ganze übernehmen muss. Wir haben diese Lage am 25. März auch mit den Stimmen der FDP beschlossen, als es bei 5000 bis 6000 Infizierten pro Tag nicht klar war, ob die Bundesländer das eigenständig regeln können. Jetzt sieht die Situation ganz anders aus.
Wir wollen gern als Parlament die Rechte zurück haben, die wir am 25. März der Regierung und dem Bundesministerium für Gesundheit praktisch als Blanko-Scheck übergeben haben. Alle Verordnungen, die seitdem getroffen wurden – wobei auch gute darunter waren – sind ohne Zustimmung des Parlaments erfolgt. In Nordrhein-Westfalen wurde die Pandemie-Notlage zuletzt im Landesparlament nicht mehr verlängert. Bayern hat weitreichende Lockerungen eingeführt. Herr Spahn möchte sicher gern seine Kompetenz ausspielen, aber da sind wir Parlamentarier selbstbewusst und sagen: Wir müssen diese Entscheidungen zurück ins Parlament holen.
Und wann sollte das geschehen?
Am besten natürlich noch vor der Sommerpause. Am Donnerstag haben wir den Antrag und den ergänzenden Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht. Es wäre hervorragend, wenn die 2. und 3. Lesung noch in der letzten Sitzungswoche stattfinden könnten, so dass der Bundesrat auch noch dazu beraten kann. Unser Gesetzentwurf sieht ja vor, dass die ganzen Verordnungen in Bezug auf Rettungsschirme, die jetzt an der epidemischen Lage hängen, bis 30. September weitergeführt werden. Im September kann das Parlament dann entscheiden, ob das Ganze verlängert oder vielleicht sogar ausgeweitet wird. Das muss aber bitte per Parlamentsbeschluss und nicht als Black-Box-Verordnung von Herrn Spahn erfolgen.
Die Angst vor einer zweiten Welle teilen Sie nicht?
Nein. Wenn wir Ausbrüche haben, dann sind sie regional und haben einen ersichtlichen Grund, wie in Göttingen, wo die Familien das Zuckerfest zusammen gefeiert haben oder auf dem Schlachthof, wo die Hygienevorschriften nicht eingehalten wurden. Die Hygienemaßnahmen müssen weitergeführt werden. Wir werden eine neue Normalität haben, die nicht der Realität vor Corona entspricht. Wir werden noch eine ganze Weile unsere Schutzmasken tragen und Abstand halten. Ich bin auch sehr für gezielte, wissenschaftlich unterlegte Teststrategien. Auch die Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten ist ganz wichtig. Deshalb habe ich auch sofort die Warn-App heruntergeladen - als kleinen Baustein. Aber das alles heißt doch nicht, dass unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps steht.
Im internationalen Vergleich hat Deutschland die Epidemie bislang recht gut gemeistert. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Nicht an der Politik, sage ich mit meinem Humor immer gern.
Das sagen viele Ärzte ja auch ...
Das ist das Stichwort: Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte! Wir haben immer wieder erfahren, dass sieben von acht Covid-19-Patienten ambulant behandelt worden sind. Das sind eigentlich die Helden des Alltags der Covid-19-Krise. Wir hatten leider immer den Fokus auf den Kliniken. Die sind natürlich für die schwerkranken Beatmungspatienten wichtig. Aber die Masse der Infizierten ist ja ambulant behandelt worden. Über 80 Prozent der Patienten waren nicht im Krankenhaus. Sie hatten leichte Symptome und sind in den Arztpraxen aufgeschlagen. Deshalb hätte darauf eigentlich der Fokus liegen müssen. Ich denke vor allem an das Thema Schutzausrüstung, das nicht gut gelaufen ist.
Die ambulante Medizin ist das eine unserer Erfolgsgeheimnisse. Das andere ist, dass wir so viele unterschiedliche im Land verteilte Laborärzte und Labore haben. Staatliche Systeme haben irgendwo ein bis zwei staatliche Labore, die wesentlich weniger schaffen. Wir haben durch die freie Niederlassung sehr viele Labore im Land verteilt und dadurch die Möglichkeit sehr viel mehr zu testen als andere Länder.
Meine Frage nach der Rolle der niedergelassenen Ärzte haben Sie damit schon vorweg genommen. Sie haben auch schon das Thema Schutzausrüstung angesprochen. Hier und vielleicht auch in anderen Bereichen ist bei der Pandemiebewältigung einiges schief gelaufen. Was kann man aus diesen Fehlern für die Zukunft lernen?
Wir müssen zum einen Vorratshaltung betreiben. Aber wir müssen auch versuchen, Produktion im eigenen Land wieder hochzufahren. Es gibt in Deutschland zum Beispiel Firmen, die das Fließ für die Mund-Nasen-Masken herstellen und Firmen, die Maschinen für die Schutzmaskenproduktion herstellen, aber hergestellt werden die Masken in China. Ganze Chargen der Lieferungen, zum Beispiel an die KV Baden-Württemberg, entsprachen nicht den Qualitätsstandards und mussten vernichtet werden. Das kostet auch Zeit, das zu überprüfen. Firmen, die in Deutschland und Europa produzieren, haben ein Interesse daran, dass die Qualität stimmt.
In ihrer Antwort auf die FDP-Anfrage zur Schutzmaterialversorgung schreibt die Bundesregierung, dass bislang bei Angeboten aus deutscher Produktion entweder die Qualität nicht den Erwartungen entsprach oder der Preis zu hoch gewesen sei. Wie sehen Sie das?
Wir können in Deutschland natürlich nicht so billig produzieren wie in China, weil wir hier ganz andere Sozialstandards haben. Auch bei Medikamenten gilt: Qualität hat ihren Preis. Wenn ich von bestimmten Chargen die Hälfte wegschmeißen muss, ist das kein Gewinn. Stellen Sie sich mal vor, welche Folgekosten entstehen, wenn man nicht mitbekommt, dass eine FFP3-Maske die Viren nicht abhält! Da bezahle ich lieber einige Cent mehr für eine hochwertige Maske. Eine Produktion im eigenen Land kann man zudem viel schneller hochfahren. Allerdings muss man den Firmen auch eine Abnahmegarantie geben und darf nicht nach Ende der Pandemie wieder in China kaufen.
Gab es aus Ihrer Sicht noch weitere gravierende Fehler beim Pandemiemanagement?
Das fehlende Schutzmaterial vor allem für die niedergelassenen Ärzte war schon das Schlimmste. Sie haben ja trotzdem Patientinnen und Patienten behandelt, mussten aber auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen, und haben im Grunde wider besseres Wissen Masken mehrfach verwendet. Das war ein Zustand, der nicht noch einmal passieren darf.
Nötig ist es aber sicher auch, Pandemiepläne einmal zu proben, und zu klären, welche Kliniken Betten für Covid-19-Patienten frei machen und welche die Regelversorgung weiterführen. Es war nicht gut, dass wir uns immer nur auf das Covid-19-Thema fokussiert haben. Am Anfang wurde den Menschen gesagt, sie sollten möglichst nicht in die Praxen und Kliniken gehen. Daraufhin blieben Praxen leer, weil die Menschen Angst vor Covid-19 hatten. Aber dadurch blieben auch notwendige Vorsorgeuntersuchungen aus. Was das an gesundheitlichen Folgeschäden verursacht, wissen wir noch gar nicht. Dazu liegen keine Zahlen vor.
(c) änd
Was sind denn aktuell aus Ihrer Sicht die wichtigsten Herausforderungen im Umgang mit Corona im Gesundheitswesen und allgemein?
Das Wichtigste ist, dass ein Großteil der Bevölkerung weiterhin darauf achtet, die Hygieneregeln einzuhalten. Die Mehrheit steht hinter diesen Maßnahmen. Es wäre vielleicht ein positiver Effekt, dass es normaler wird, bei Infektionswellen Schutzmasken zu tragen. Wünschenswert ist auch, dass das Wissen über Schutzmöglichkeiten wächst.
Und wo sehen Sie die besonderen Herausforderungen für das Gesundheitswesen?
Die Herausforderungen hier sind, Pandemiepläne zu üben und die ambulante Medizin weiter zu stärken. Denn die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte haben uns gerettet. Außerdem wurden in manchen Bereichen ja einige bürokratische Vorgaben ausgesetzt. Da könnte ich mir vorstellen, dass es gut wäre, das weiterzuführen.
Welche zum Beispiel?
Bei Ärzten sind das einige Berichtspflichten, bei Heilmittelerbringern zum Beispiel die Frist von 14 Tagen zwischen Rezeptausstellung und Behandlungsbeginn. Wenn Sie nach 22 Tagen einen Termin bekommen, muss das Rezept unter Normalbedingungen neu ausgestellt werden. Das ist unsinnig.
Welchen Beitrag können die niedergelassenen Ärzte denn zu einer neuen Normalität im Gesundheitswesen leisten?
Wichtig ist nun, den Menschen zu vermitteln, dass sie ihre Behandlungen und Vorsorgen wahrnehmen sollen. Da sehe ich auch bei der Selbstverwaltung eine große Verpflichtung. Die Selbstverwaltung hat da schon in der Pandemie-Hochphase mit der Rufnummer 116 117 Unglaubliches geleistet. Die meisten Menschen, die nicht wussten, wo sie sich testen lassen sollen, haben nicht beim Gesundheitsamt angerufen, sondern bei der Kassenärztlichen Vereinigung.
Die KVen hatten die 116117 ja auch massiv ausgebaut. Müsste man das fortführen?
Ich bin nicht der große Freund des Terminservice-Gesetzes. Aber so wie das jetzt geregelt wird, dass bei der 116 117 die Triage vorgenommen wird, finde ich das schon gut. Da sehe ich die ambulante Medizin auch als den Bereich, der dafür zuständig ist.
Viele, selbst Hausärzte, klagen über deutliche Patientenrückgänge. Trotz Schutzschirm und Kurzarbeitergeld fürchten einige Ärzte gehäufte Praxispleiten. Halten Sie die Maßnahmen zum Abfedern der wirtschaftlichen Folgen für ausreichend?
Das muss man nach Berufsgruppen differenzieren. Die ersten Maßnahmen haben wir befürwortet und würden sie auch weiterführen. Es wäre ein Vorteil, wenn wir die epidemische Lage aufheben und die Entscheidungen zurück ins Parlament führen, sodass wir dort mit einer Anhörung diskutieren können, wo nachgesteuert werden muss. Denn es darf nicht passieren, dass ein Niedergelassener oder eine Niedergelassene aus der Versorgung herausgeht, weil es finanziell nicht mehr machbar ist.
Wir haben in bestimmten Bereichen auch zu wenig Niedergelassene und das ist kein schönes Signal an Medizinstudenten, wenn sie bei der nächsten Pandemie fürchten müssten, dass sie pleite gehen. Mein Mann ist Zahnarzt, mein Vater war niedergelassener Arzt. Ich weiß daher, was es bedeutet, wenn Sie Mitarbeiter bezahlen müssen. Und wenn Sie frisch niedergelassen sind, haben Sie auch Kredite abzubezahlen. Da hilft es auch nichts, wenn der Staat nur für bis zu 90 Prozent der Kreditsumme haftet und die Banken dies als zu hohes Risiko einschätzen. Die Hängepartie beim Kurzarbeitergeld war auch unnötig. Es haben einige keine Kurzarbeit angemeldet.
Einige, auch immer mehr Ärzte, sind der Meinung, die Private Krankenversicherung müsste einen größeren Beitrag leisten. Wie sehen Sie das?
Ich bin ein großer Freund der PKV. Das, was als Zuschlag in der GOÄ und GOZ jetzt für den Mehraufwand für Schutzkleidung vereinbart wurde, ist nur ein Teil. Insofern werde ich da Gespräche führen.
Also Sie sehen das bisherige Engagement der PKV auch nicht als ausreichend?
Ja, denn es betrifft ja nur den Hygiene-Aufschlag.
Corona hat einige andere gesundheitspolitische Vorhaben stark in den Hintergrund gedrängt. Was muss aus Ihrer Sicht jetzt als erstes wieder aufs Tablett?
So viel ist nicht zurück gedrängt worden.
Notfallversorgung, Pflegegesetz ...?
Ja, aber wie ich Herrn Spahn kenne, wird das nach der Sommerpause sofort wieder aufgesetzt. Insofern müsste er sich eigentlich freuen, wenn die epidemische Lage aufgehoben wird und das Parlament wieder entscheidet. Ich glaube auch, dass er sehr wohl weiß, dass die epidemische Lage nicht mehr tragbar ist.
Sie rechnen also mit einer Mehrheit für den FDP-Antrag?
Aus langer politischer Erfahrung halte ich das für eher unwahrscheinlich. Aber wenn wir damit eine Diskussion anstoßen, dann ist das auch schon ein Wert an sich. Gerade jetzt wäre diese Entscheidung wichtig, auch als Botschaft an die Menschen, dass es keine Überforderung des Gesundheitswesens gibt und sie wieder zu ihren Ärzten gehen können. Lasst euch wieder untersuchen!
Zur Person
Christine Aschenberg-Dugnus gehört der FDP seit 1997 an und saß schon von 2009 bis 2013 für die Liberalen im Bundestag. Seit 2017 hat die „Schleswig-Holsteinerin mit hessischem Migrationshintergrund“, wie sie sich selbst nennt, erneut ein Bundestagsmandat. In ihrer bundespolitischen Tätigkeit zieht sich ein Schwerpunkt auf Pflege und Gesundheit durch. Aschenberg-Dugnus ist Rechtsanwältin in eigener Kanzlei, seit 34 Jahren verheiratet und Mutter einer erwachsenen Tochter.
Barmer-Chef Straub: „Starker ambulanter Sektor hat uns geschützt“
Haben die "doppelte Facharztschiene" und die Sektorentrennung auch Vorteile? In einer Zwischenbilanz zur Covid-19-Pandemie zeigt sich Barmer-Chef Christoph Straub nachdenklich.
(c) änd-Archiv
„Für abschließende Analysen ist es zu früh. Aber wahrscheinlich hat uns der starke ambulante Sektor geschützt“, sagte Straub bei einem Experten-Web-Talk der Barmer unter dem Motto „Rückkehr zur ‚neuen Normalität’ - Strukturreform für mehr Qualität“ am Dienstagabend.
Straub, der sich seit langem für die Überwindung der Sektorengrenzen stark macht, zeigte sich mit Blick auf die Pandemie nachdenklich, ob er sich von dieser Forderung verabschieden solle. „Vielleicht war dort die Sektorengrenze sogar einmal von Vorteil“, sagte er.
Es sei gut und wichtig, „dass wir Fachärztinnen und Fachärzte im ambulanten und akutstationären Bereich haben“, so der Barmer-Chef. Doch aus seiner Sicht könnten viele akutstationäre Behandlungen durch ambulante oder sektorübergreifende Behandlungen ersetzt werden. In manchen sehr kleinen Häusern würden Patienten, wenn überhaupt sinnvoll, dann aus sozialer Indikation aufgenommen, berichete Straub aus seiner Erfahrung als Krankenhausmanager. So bedürfe etwa ein Patient mit einer leicht dekompensierten Herzinsuffzienz keiner akutstationären Betreuung über viele Tage. Es müsse aber eine Versorgung und auch eine Über-Nacht-Überwachung geben.
Mit Blick auf die Krankenkassenfinanzen sagte Straub: „Es sind die aufregendsten vier Monate, die ich bisher erlebt habe.“ Infolge der Coronakrise habe es zwar unmittelbar stärkere Belastungen gegeben. So seien etwa im März vermehrt Großpackungen verordnet worden. Auf der anderen Seite habe es aufgrund der Anordnungen der Länder aber auch Entlastungen gegeben, so dass die Kassen in dieser ersten Phase Einsparungen gehabt hätten.
„Es geht uns im Moment deutlich besser, als wir es für dieses Jahr erwartet haben“, sagte Straub. Mit Sorge betrachtet er weniger die direkten Ausgaben in der Covid-Krise als vielmehr die mittelbare Phase des Rückgangs der Beitragseinnahmen. „Das ereilt uns spätestens im Januar des nächsten Jahres“, warnte er.
„Politik muss vernünftige Klinik-Strukturen schaffen“
In jedem Fall hat die Covid-19-Pandemie die Wertschätzung für das deutsche Gesundheitswesen deutlich gesteigert. „Wir waren alle glücklich in Deutschland zu sein, für den Fall, dass wir erkranken und versorgt werden müssten“, sagte Straub. Er lobte auch die Politik. Sie habe „sehr schnell reagiert“. Vorsorge zu treffen sei richtig gewesen. Man müsse nun aber nachsteuern.
Straub verwies auf Analysen, die zeigen würden, dass in einem Drittel der Krankenhäuser mit Intensivstationen gar keine Covid-19-Patienten gewesen seien. Ein weiteres Drittel der Häuser habe einige Fälle versorgt und das letzte Drittel viele und schwererkrankte Covid-19-Patienten. Der Arzt und Kassenmanager zeigte sich überzeugt, dass die Epidemie damit zeige, dass eine andere Struktur der Krankenhausversorgung nötig sei.
Als Beispiel nannte Straub die Uckermark. Dort würden sich fünf Herzinfarkte pro Woche auf vier Krankenhäuser verteilen. Es sei ganz klar, dass keines dieser Häuser in der Lage sei, eine angemessene Herzinfarktversorgung rund um die Uhr vorzuhalten.
Es sei eine politische Aufgabe, die Strukturen entsprechend zu gestalten. „Wir brauchen normative Entscheidungen über sinnvolle Strukturen“, sagte der Barmer-Chef. Qualitätsindikatoren könnten nicht diese Strukturentscheidungen vorgeben. „Es ist auch nicht die Aufgabe eines Vergütungssystems, vernünftige Strukturen zu schaffen, sondern es ist die politisch Entscheidung“, unterstrich Straub.
Weil die Politik bei dieser Aufgabe große Schwierigkeiten hat, fordert die Barmer, dass die gemeinsame Selbstverwaltung solche Strukturentscheidungen mitträgt. Dazu sollte das gemeinsame Landesgremium nach §90a SGB V mit einem neuen §90b mehr Verbindlichkeit in den Entscheidungsstrukturen erhalten. Das ist eine der Forderungen aus einem Zehn-Punkte-Papier, das die Barmer vor etwa einem Jahr in die Reform der Notfallversorgung eingebracht hat.
Das Papier hat maßgeblich die Berlin-Brandenburger Regionalchefin der Barmer Gabriela Leyh mit entwickelt. Die Rückkehr zur ‚Neuen Normalität’ bedeutet ihrer Ansicht nach auch eine Rückkehr zu vielen bekannten Debatten, doch die Herausforderungen seien größer denn je, sagte die Gastgeberin des Experten-Talks abschließend.