KVBW-VV
„Die Mär vom faulen Sack muss ein Ende haben“
Große Einigkeit herrschte bei der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg in Stuttgart am Mittwochnachmittag: In zahlreichen Reden stellten die Anwesenden klar, dass sie den Kabinettsbeschluss zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) nicht mittragen. Am Ende verabschiedeten die Delegierten dazu einstimmig eine Resolution. Weitere Themen der Versammlung waren die Telematikinfrastruktur, das Telemedizinprojekt „docdirekt“ und die elektronische Patientenakte.
KV-Chef Metke:„Wenn ein Hausarzt meint, er muss dringend zum Facharzt vermitteln, dann macht er das – und zwar seit Hippokrates!“
Die KVBW-Vertreterversammlung hätte „termingerechter“ nicht liegen können: Sie fand nahezu zeitgleich mit der Sitzung des Bundeskabinetts statt, in der das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) beschlossen wurde. Statt auf dem Thema „Förderung der Weiterbildung“ – wie vorab per Einladung angekündigt – lag der Fokus der Versammlung also auf dem TSVG, mit dem sich alle Anwesenden unzufrieden zeigten.
„Wir haben bis in die frühen Morgenstunden unsere Präsentationsfolien überarbeitet“, sagte KV-Chef Dr. Norbert Metke und kritisierte die ausgenommene „Pünktlichkeit“, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in puncto TSVG an den Tag gelegt habe: Der Referentenentwurf dazu sei „pünktlich zur Sommerpause“ erschienen, sodass KV-Vorstand und erreichbare Gremien – statt Urlaub zu machen – jede Menge Arbeit in „eine Synopse, Kommentierungen und politische Gespräche“ gesteckt hätten. „Doch noch pünktlicher zur VV erschien gestern, 16.37 Uhr, der in großen Teilen geänderte Kabinettsentwurf, der heute beschlossen werden soll“, so Metke. Dieser habe alle Hoffnungen zunichtegemacht: „Wir dachten, dass zumindest ein Teil unserer Argumentation ankommen würde, aber durch Spahns Nacht- und Nebelaktion ist unsere Arbeit für die Katz.“
Resignation sei trotzdem nicht angebracht, betonte Metke: „Die eigentliche parlamentarische Arbeit beginnt jetzt!“ Beschließungspflichtig durch den Bundesrat ist das Gesetz nach Auskunft von Dr. Thilo Walker, Ministerialrat im Sozialministerium, jedoch nicht: „Es können aber Anträge gestellt und Entschließungen dazu gefasst werden“, so Walker.
„Wir arbeiten mehr als das Doppelte dessen, was der Gesetzgeber vorsieht“
„Die Bundesregierung wird dieses Gesetz durchpauken, um sogenannte Erfolge bei der Bevölkerung vorweisen zu können“, prophezeite Metke. Ziel des Gesundheitsministers sei es, durch ein Mehr an Terminen die gefühlte Ungleichbehandlung bei der ambulanten Terminvergabe zwischen GKV- und PKV-Patienten zu beenden.
„Wenn man sich den Maßnahmenkatalog ansieht, meint man, man müsse uns Ärzte zwingen, mehr als 20 Stunden zu arbeiten“, sagte Metke. Doch die „Mär vom faulen Sack“ sei eine politische Lüge: „Wir arbeiten heute schon mehr als das Doppelte dessen, was der Gesetzgeber vorsieht.“ Auch die Forderung, Hausärzte sollten dringende fachärztliche Termine vermitteln, sei absolut überflüssig: „Wenn ein Hausarzt meint, er muss dringend zum Facharzt vermitteln, dann macht er das – und zwar seit Hippokrates!“ Weil die Praxisorganisation extrem heterogen sei, könne man nicht für alle Facharztpraxen „nach Schema F vorgehen“ und beispielsweise in einer Kinderwunschpraxis offene Sprechstunden anbieten.
„Erstmals mehr Geld für mehr Leistung“
Zugutehalten müsse man Spahn allerdings, dass er „zum ersten Mal seit 26 Jahren“ ein Gesetz auf den Weg gebracht habe, das mehr Geld für mehr Leistung vorsehe. „Das ist zumindest ein Lichtstrahl in einem Durcheinander von Schattierungen“, sagte Metke. Die geplanten fünf Euro Zusatzvergütung für die Vermittlung „dringender fachärztlicher Termine“ durch den Hausarzt allerdings seien „völlig daneben“: „Trinkgeld in der Gastronomie ist steuerfrei, vielleicht wäre das eine Option“, scherzte der KVBW-Chef. Weiterer Wermutstropfen: Die offene Sprechstunde werde für maximal fünf Stunden pro Woche vergütet – auf niedrigem Niveau.
Auch an der aktualisierten Neupatientenregelung ließ Metke kein gutes Haar. Neben tatsächlich erstmals vorstellig werdenden Patienten seien „Neupatienten“ nun nur noch all diejenigen Patienten, die nach vier Jahren (statt bisher nach einem Jahr oder mit neuer Diagnose) wieder die Sprechstunde aufsuchen würden. Dies führe zu einer „krassen Benachteiligung der Hausärzte“. Insgesamt sei die Ärzteschaft an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Trotz aller Kritikpunkte rief Metke zu Besonnenheit auf: „Wenn wir eine Stellungsnahme abgeben, dann sollte sie differenziert sein.“
„Es gibt keinen anderen freien Beruf, in den so dirigistisch hineindiktiert wird“
In der Folgedebatte meldeten sich zahlreiche Anwesende zu Wort und legten ihre Kritik am TSVG so ausführlich dar, dass der VV-Vorsitzende Dr. Frank-Dieter Braun eine Begrenzung der Redezeit auf drei Minuten initiierte. Mit Aussagen von „es gibt keinen anderen freien Beruf, in den so dirigistisch hineindiktiert wird“, über „das ist das populistische Gesetz eines eiskalten Karrierepolitikers“ bis hin zu „dass wir für ein paar Euros unsere Seele verkaufen sollten, wage ich zu bezweifeln“ gaben sich die niedergelassenen Ärzte kämpferisch.
Man einigte sich darauf, eine Resolution zum TSVG zu verfassen, die vor Ort von einem kleinen Gremium ausgearbeitet und noch am frühen Abend von der VV einstimmig verabschiedet wurde.
Telematikinfrastruktur und Telemedizin
Allen weiteren VV-Tagesordnungspunkten wurde aufgrund der aktuellen TSVG-Debatte verhältnismäßig wenig Platz eingeräumt: Zur Telematikinfrastruktur-Problematik sagte KV-Vize Dr. Johannes Fechner, er gehe davon aus, dass Gesundheitsminister Spahn den Termin für die verpflichtende Anbindung als „Weihnachtsgeschenk“ in den Sommer verschieben werde: Von 150.000 Praxen seien bislang nur 50.000 Praxen an die Telematik angeschlossen. Neu ausgelobt worden sei ein Extra-Betrag in Höhe von 230 Euro für alle Praxen, die die Telematikinfrastruktur installiert hätten.
Das KVBW-Telemedizinprojekt „docdirekt“ der KV mit den Modellregionen Stuttgart und Tuttlingen sei erfolgreich angelaufen. Rund 1.200 Menschen (zu 66 Prozent männlich) hätten sich das zugehörige Programm bislang heruntergeladen. Die stärkste Nutzergruppe sei die der 20- bis 29-Jährigen, doch auch zahlreiche über 70-Jährige hätten docdirekt bereits genutzt. Ein hoher Anteil der Patientenanrufe gehe am Wochenende ein, wenn die Hotline gar nicht durch Mitarbeiter besetzt sei – hier sei langfristig eine Änderung der Erreichbarkeit überlegenswert. Es liefen Vorbereitungen, das Angebot auf ganz Baden-Württemberg auszuweiten. Ein ergänzender, geschützter „e-Rezeptdienst“ werde voraussichtlich ab Anfang 2019 zur Verfügung stehen.
Elektronische Patientenakte und Weiterbildung in Teilzeit
„Sie dachten, Sie hätten nach Telematik und Datenschutzverordnung endlich Ruhe? Jetzt kommt die elektronische Patientenakte“, leitete Fechner zum nächsten Agendapunkt über. Es gebe unterschiedliche digitale Aktenkonzepte: patienten- oder arztgeführt, einrichtungsintern oder -übergreifend, fallbezogen oder lebenslang. Alle Angebote würden aber allein dem Informationsrecht des Patienten dienen – Ärzte seien nicht verpflichtet, alle Daten auszuwerten. „Wenn vor vier Jahren eine Diclofenac-Unverträglichkeit festgestellt wurde, bin ich nicht haftbar, weil ich den Part in der Akte nicht gelesen habe“, so Fechner. Sollten die Daten eines Patienten auf dessen Wunsch ins Praxis-System hochgeladen werden, benötige man vorab eine schriftliche Schweigepflichtentbindung.
Abschließend wurden auf der VV verschiedene Anträge von Dr. Kristina Zimmermann, stellvertretende Vorsitzende des „Beratenden Fachausschusses für angestellte Ärzte und Psychotherapeuten“ für Änderungen an der „Richtlinie der KVBW zur Förderung der Weiterbildung“ (Förderrichtlinie 2016) diskutiert. Dabei ging es vor allem um klarere und offenere Formulierungen bezüglich „Weiterbildungen in Teilzeit“
27.09.2018 15:05:36, Autor: aus Stuttgart für den änd: Annika Mengersen