Zugriff auf Patientendaten: Ein weiterer Grund für eine Kooperation "Ärzte-Senioren"

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  • Letzter Beitrag 08 August 2021
Dr. Günter Gerhardt schrieb 08 August 2021

Daten von Patienten müssen auf Verlangen von Ermittlungsbehörden aller EU-Mitgliedsländern herausgegeben werden, auch wenn die verfolgte Tat in Deutschland gar keine Straftat ist.

Ausführlicher Text dazu, s.u.

Dr. Günter Gerhardt schrieb 08 August 2021

Europäische Verordnung gefährdet ärztliche Schweigepflicht

Etwas Hochexplosives steht vor der abschließenden Zustimmung durch den europäischen Rat: Die Verordnung über europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen. In der Kurzfassung wird gewöhnlich von der e-Evidence-Verordnung gesprochen, was nicht so sperrig, harmloser klingt. Was kommt bzw. könnte denn mit dieser europäischen Verordnung auf Patienten und Ärzte zukommen? Wenn die Ermittlungsbehörden aller EU-Staaten wirklich europaweit freien Zugriff auf Daten von Internet-Unternehmen erhalten, dann sind unsere Patientendaten in Gefahr und damit die ärztliche Schweigepflicht, die im Übrigen in europäischen Staaten ganz unterschiedlich geregelt ist und m.E. erst einmal harmonisiert werden muss, bevor der Europäische Rat dies e-Evidence-Verordnung endgültig durchwinkt. Wenn das passiert können Staatsanwälte und Ermittlungsbehörden aller europäischer Staaten zukünftig - nach EU-Recht(!) – auf Patientendaten, die wir gespeichert haben, zugreifen. Telekommunikationsprovider, Cloud-Anbieter und Internetdienstleister müssen die Daten ihrer Kunden direkt an Ermittlungsbehörden herausgeben. Es müssen also  Daten an Ermittlungsbehörden herausgegeben werden, obschon die verfolgte Tat in Deutschland gar keine Straftat ist. Ein Beispiel: Das polnische Abtreibungsrecht ist erst vor kurzem deutlich verschärft worden. Jetzt kann in einem polnischen Verfahren ein polnischer Staatsanwalt auf Daten einer/eines deutschen Ärztin/Arztes zurückgreifen, was im Moment (Pegasus lässt grüßen) noch davon abhängt, wo die Daten gespeichert sind. Beim Cloudanbieter kann die polnische Ermittlungsbehörde auf diese Daten zugreifen, ebenfalls beim Telekommunikationsprovider, über die die Praxis ihre Arztbriefe verschickt und evtl. die elektronische Patientenakte e-PA mit verwaltet. Die Ermittlungsbehörde kann so Metadaten, also wer mit wem kommuniziert, und auch Daten über Beratungsgespräche (z.B. einen Schwangerschaftsabbruch) beschlagnahmen und in die Ermittlung einfließen lassen. Der Zugriff kann nicht von einem deutschen Gericht verhindert werden, obwohl ein Schwangerschaftsabbruch nach deutschem Recht nicht strafbar ist. In der Folge kann dann die betroffene Polin, sofern sie sich in Polen aufhält, verknackt werden, und die/der deutsche Ärztin/Arzt sollte vielleicht bis zur Verjährung nicht nach Polen einreisen.
Die bereits vom europäischen Parlament verabschiedete  Verordnung blieb, wahrscheinlich Corona bedingt, in der (auch ärztlichen) Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, obwohl Rechtsanwälte und Datenschützer bereits vor mehr als zwei Jahren gewarnt haben. Vergeblich. Jetzt wo nur noch der Europäische Rat zustimmen muss, sollten Europas Ärzt*Innen massiv dagegen opponieren. In Deutschland stehen die Zeichen wenige Wochen vor der Bundestagswahl ganz günstig. Nutzen Sie liebe Kolleg*Innen und liebe Senior*Innen Ihre Kontakte und fordern Sie die Ihnen bekannten Politiker*Innen auf, sich einzusetzen nicht nur  für Ärzt*Innen, sondern auch für Patient*Innen.
"Anderenfalls wird das Vertrauen der Patienten und Ärzte in die ärztliche Schweigepflicht komplett unterminiert", warnt der Vorsitzende des Weltärzteverbands, Frank Ulrich Montgomery, und rät den Mitgliedern des Europäischen Rates, die Verordnung noch zu kippen, zumindest in wesentlichen Punkten zu ändern.
Die Freie Ärzteschaft warnt schon seit geraumer Zeit vor der TI und der der e-Evidence-Verordnung, Die Vizevorsitzende  Dr. Silke Lüder bringt es auf den Punkt: „Da alle ärztlichen Daten in Deutschland künftig in Form von elektronischen Patientenakten (ePA) bei IT-Firmen in der ,Cloud‘ gespeichert werden sollen, sind auch sie nicht mehr vor der Ausforschung durch andere Staaten geschützt. Die Ärztliche Schweigepflicht ist dann nur noch Makulatur, das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung damit ebenfalls.“

Schon 2018 hat die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder sowie viele Verbände den Entwurf dieser Verordnung massiv kritisiert. Auch im EU-Parlament habe es zunächst großen Widerstand gegeben. „Aber durch ein datenbesessenes Drängen von Mitgliedsstaaten ist jetzt im EU-Parlament eine Mehrheit für dieses Vorhaben entstanden – es wird kaum noch zu stoppen sein“, berichtet Silke Lüder.
Dies allerdings bestärke wiederum alle kritischen Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland, ihren Widerstand gegen die Verlagerung aller sensiblen Krankheitsdaten in die ,Clouds‘ großer IT-Firmen fortzuführen. „Dies gilt damit insbesondere für jede elektronische Patientenakte“, erläutert der Freie Ärzteschaft Vorsitzende, Wieland Dietrich.

  

 

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